Kapitel Auf der Töpferscheibe des Lebens Roman Winterfachen von Isabelle Dreher

Auf der Töpferscheibe des Lebens – Winterfachen

„Du hast einen künstlerischen Onkel, was ist denn mit dir?“, fragte Ilay schließlich, als er erkannte, dass Nourina nicht mehr über seine Kunstwerke nachdenken wollte.

„Keine Ahnung“, gab sie unverzüglich preis, da ihr immer wieder vor Augen tanzte: Vom Tod zum Leben.

„Na ja“, lachte er hell auf, „was ist denn mit deinen Vorfahren? Mit deinen Großeltern zum Beispiel.“

Nourina stand inmitten seines Ateliers und hatte Mühe, sich zu sortieren. Die Antworten würde sie kaum in seinem Raum finden. Künstlerisch oder geistlich betrachtet, vielleicht war sich das sogar ähnlich, war es ihr lieber, diesen Raum jetzt zu verlassen.

„Können wir vor deinen Kamin?“, fragte sie.

„Ist dir kalt?“, konterte er ihre Frage und trat auf sie zu.

Fast war ihr, als würde er in Corona-Furcht gleich das Fieberthermometer ansetzen.

„Mir ist so komisch“, bekannte sie.

Was nicht ihr einziges Bekenntnis jenen hell strahlenden Tag sein würde.

„Komm mit“, machte er eine einladende Geste, sie fast bei der Hand zu greifen, was vor Nourinas Augen mit dem hellen Mann verschwamm, der ähnliches gesagt und getan hatte, erinnerte sie sich schemenhaft.

Als sie im Wohnzimmer angekommen waren, entzündete er den Kamin, was sie sofort wieder an die verschiedenen Feuer erinnerte, die sie neulich so prägnant vor Augen gehabt hatte.

„Komm, setz dich auf‘s Sofa, da ist es schön gemütlich“, sprach er ihr gut zu.

Irgendwie schien er wahrgenommen zu haben, dass sich Nourina nicht besonders gut fühlte. Ganz anders zumindest als mit Clemens jüngst oder ihrem Ehemann längst. Irgendwie war mit Ilay alles anders. Lächelnd nahm sie Platz und ließ sich fürsorglich mit einer Decke zudecken.

„Wird schon“, sprach er ihr aufmunternd zu, als könne er vorwegnehmen, was geschehen würde.

Vermutlich würde sie sich, zwar anders als bei ihrem Ehemann ehemals oder mit Clemens damals, durchaus nackt fühlen.

Menschenkind, dachte hingegen sie, als sie wohlig aufseufzte und sich wie ein geborgenes Kind fühlte.

„Ein Glas Wein?“, fragte er, woraufhin sie flugs überlegte, ob auch er im Sinn hatte, sie zu verführen.

Da sie unentschlossen dreinblickte, machte er sich auf, eine gute Flasche zu entkorken, um mit zwei schlichten Gläsern wieder vor ihr aufzutauchen.

„Solche Gläser hat ja mein Onkel gemalt“, lächelte sie und streifte sich sodann zerstreut über die Stirn.

„Ich weiß“, lächelte er, „ich habe sogar eines erstanden“, fügte er hinzu, um erneut aufzustehen und in seinem Atelier lautstark danach zu kramen.

„Hier“, nickte er ihr zu und setzte sich wieder neben sie.

Der Abstand von 1,5 Metern war ohnehin schon längst aufgehoben. Wie weitere Schranken inzwischen auch.

Nourina griff nach dem Werk ihres Onkels und drehte es andächtig zwischen ihren Fingern.

„Sieht von oben wie von unten fast gleich aus“, vertonte sie.

Was daraufhin geschah, rechnete sie dem zwar auserlesenen, aber auch sehr starken Rotwein zu.

Nach dem ersten Schluck begann das Glas ihres Onkels zu ihr zu sprechen, so zumindest war ihr. Unter Umständen auch darum, weil sie den gesamten Tag über nicht viel zu sich genommen hatte. Allerdings hatte Ilay Gott im Geist schon längst darum gebeten, Nourina die Augen zu öffnen. Und zwar die inneren.

„Was siehst du?“, fragte er, nicht anders als es ein Psychoanalytiker getan hätte.

Erst wollte sie, ähnlich wie zu Schulzeiten, das Naheliegende vertonen, um eben nicht zu viel von sich selbst preiszugeben: dass sie ein Glas sehe. Eigentlich aber, so mutete es ihr plötzlich an, hatte ihr Onkel dieses eine Glas nicht immer und immer wieder nur darum gemalt, um einen Gebrauchsgegenstand abzubilden, sondern um sich selbst zu beruhigen. Und zwar jeden Tag wieder. Nicht umsonst hatte er wohl für sich selbst das Motto ‚Jeder Tag Guter Tag‘ gewählt.

„Meine Tante erzählte mir, sie habe in seinem Nachlass einen Brief der Mutter, also meiner Großmutter an meinen Onkel gefunden, in dem sie vermutlich sich selbst und ihrem Wunsch Ausdruck verlieh, mein Onkel möge ein guter Nazi, also Offizier werden“, setzte sie an. „Mein Vater und seine zwei Brüder waren auf der Napola“, ergänzte sie vielsagend.

Wieder nahm sie einen Schluck und gedachte diesmal des Blutes Jesu, für sie vergossen. Ilay nickte.

„Meine Großmutter war Balletttänzerin, Primaballerina“, glitt sie wie in sein Nicken hinein. „Bei Mary Wigman, hieß es. Das muss irgend so ‘ne Tanzgröße gewesen sein“, atmete sie schwer aus.

Immer noch nickte Ilay und unterließ es, ihr die Tanzgröße zu erläutern.

„Mein Großvater war Zahnarzt“, fuhr sie fort.

Stumpf blickte sie Ilay an.

„Meine Tante hat mir erzählt, dass er sich im Krieg sofort an die Front begab und sich mit als Erster sozusagen in die Luft sprengen ließ.“

Nourina spürte Ilays Augen auf sich gerichtet, was trotz allem ein schönes Gefühl war.

„Die Praxis muss Bombe gelaufen sein, die Brüder sollten sie übernehmen, sodass meine Großmutter erst meinen Vater fragte, was er werden wolle. Der erklärte: Schriftsteller. Daraufhin warf sie ihn von einem auf den anderen Tag raus.“

Wieder nickte Ilay.

„Dann fragte sie meinen Onkel, was dieser begehre zu werden. Maler, antwortete der, woraufhin ihn dasselbe Schicksal wie meinen Vater ereilte. Dann fragte die Mutter den jüngsten Sohn, der acht Stunden am Tag Klavier spielte, was es mit seinen Berufswünschen auf sich habe. Der machte sich aus dem Staub, nachdem er hatte mit ansehen müssen, was mit seinen beiden Brüdern geschehen war. Sie waren in einem großen Haus mit Bediensteten aufgewachsen, weißt du“, lächelte sie Ilay an. „Aber durch den Krieg wurde das zerbombt und damit dann wohl jede weitere Hoffnung auf was auch immer“, fügte Nourina nachdenklich hinzu. „Jedenfalls waren die Jungs erst arm, machten dann aber alle ihren Weg. Mein Vater und mein Onkel wurden sogar beide ins Buch des ‚who is who‘ eingetragen, also auch wir. Aber vielleicht ist es ihnen nicht immer nur gut gegangen“, öffnete Nourina ihren Mund, um den nächsten Schluck zu nehmen.

„Und dir?“, hörte sie seine warme Stimme wie aus Ferne.

„Wohl auch nicht“, fuhr sie fort. „Ich kam ins Internat und dort in die Ruderriege.“

„Und bist nicht gefragt worden, was du wirklich werden wolltest, oder?“, lächelte Ilay.

„Eher dann wohl nicht“, antwortete sie nachdenklich und stellte ihr Glas ab.

„Was möchtest du wirklich?“, hörte sie seine Stimme wie aus einem Labyrinth aus Bildern.

Sofort nahm Nourina das Glas wieder auf und tat, was sie während ihrer Internatszeit gelernt hatte: Es in einem Zug zu leeren. Unverzüglich fiel ihr Blick auf das Glas, das ihr Onkel gemalt hatte. Es war leer. Das Glas hatte keinen Inhalt. Ähnlich fühlte sie sich. Erst hatte sie Ilay auf seine Frage antworten wollen, dass sie immer hatte Kinder haben wollen. Doch plötzlich erschien ihr das eklatant nebensächlich.

„Deine Vorfahren sind also gefragt worden, was sie zu tun oder zu sein begehrten, aber sie sind leer ausgegangen, richtig?“, fragte Ilay und nickte Nourina ihm mechanisch zu. „Du bist nie gefragt worden, was du eigentlich wolltest, und bist auch leer ausgegangen, stimmt‘s?“

„Gib mir zu trinken“, fuhr es aus Nourina heraus, ähnlich wie in ihrem Traum neulich.

Sie wollte jetzt trinken. Und zwar richtig. Etwas anderes kam ihr schon lange nicht mehr in den Sinn.

Langsam stand Ilay auf und holte die Flasche. Behutsam schenkte er ihr nach.

„Werde ich wieder glücklich leben können, eines Tages, Ilay?“, fragte sie.

Wieder setzte er sich zu ihr und blickte ihr geradewegs in die Augen.

„Wenn du möchtest“, antwortete er ruhig. „Es ist deine Entscheidung. Und du kannst dich auch mit diesem Wunsch an diesen Gott wenden, den dir Dominik wohl ebenfalls schon vorgestellt hat. Ihm ist nichts zu klein und nichts zu groß. Und wenn es um Leben geht, steht er sozusagen ganz vorne, dir diesen Wunsch zu erfüllen“, lächelte er. „Aber du musst das dann auch wollen, wirklich wollen. Und irgendwie auch durchziehen.“

„Durchziehen“, wiederholte Nourina und atmete aus.

Das kannte sie vom Rudern. Da hatten sie auch ordentlich durchziehen müssen. Manchmal bis zur Übelkeit, die sich ihrer auch in jenen Sekunden bemächtigte, da sie begann, nach Luft zu schnappen, woraufhin er ihre Hand in die seine nahm und einfach festhielt, um ihr zu zeigen, dass er da war. Und dass er bliebe, wie Nourina noch feststellen würde.

„Und deine Mutter?“, fragte er nach einer Weile, die sie schweigend beisammen gesessen hatten.

Mit großen Augen sah sie ihn an.

„Was soll mit ihr sein?“, fragte sie.

„Hatte sie Wünsche“?

Nourina blickte auf die Wolldecke auf ihrem Schoß.

„Er hat ihren Vertrag bei der Zeitung gekündigt, als sie mit mir schwanger war“, antwortete sie mechanisch.

Ilay nickte. In den 70ern hatten Ehemänner noch das Recht gehabt, die Verträge ihrer Frauen aufzulösen.

„Also auch unerfüllt“, murmelte er, was Nourina anhielt, ihm ihr leeres Glas hinzuhalten.

Ruhig schenkte er sowohl ihr wie sich nach.

„Unerfüllte Wünsche kommen nicht von Gott“, setzte er schließlich an.

„Nicht?“, fragte sie.

„Nein“, atmete er aus. „Der Tanach oder die Bibel“, lächelte er, „sind voll von Gottes Verheißungen für seine Kinder. Erst hat er es den Juden zugesagt und versprochen, nach dem Erscheinen des Christus dann allen Menschen, den nahen wie den fernen. Aber wir selbst, wir Menschen, glauben immer noch, dass wir alles allein schaffen müssen, was wir aus eigener Kraft gar nicht können.“

„Aber Gott ist so fern“, stieß Nourina vehement aus.

„Vielleicht“, flüsterte Ilay und blickte nach draußen in den Garten. „Vielleicht aber auch nur darum, weil sich kaum mehr jemand an ihn erinnert“, flüsterte er und richtete seinen Blick wieder auf sie. „Vielleicht, weil wir seine Feste alle gar nicht mehr erinnern, also das, was er mal getan hat, wozu er imstande ist und was er eigentlich immer noch tun will. Warum wir diese Feste auch in seinem Gedenken jedes Jahr, also immer und immer wieder, feiern sollen.“

„Osterhasen“, musste Nourina lachen.

„Weihnachtsmänner“, ergänzte Ilay, woraufhin sie wieder in dies Gelächter ausbrachen, das ihnen beiden ein wohliges Gefühl von Vertrautheit vermittelte.

Wonach sich Nourina traute, ihm direkt in die Augen zu sehen und zu fragen: „Was sind deine Wünsche Ilay?“

„Kinder“, antwortete er ohne zu zögern, was Nourina dazu veranlasste, ihren Mund weit aufzusperren.

In dieser Geste blieb sie für einige Sekunden hängen, da sie nicht wusste, ob sie lachen oder weinen sollte.

„Wie du“, lächelte er. „Oder wie vermutlich oder eigentlich alle Menschenkinder. Nur dass auf allen Lebenswegen oft etwas geschehen ist, warum sie es dann doch lieber nicht mehr wollen.“

„Oder nicht können“, warf sie ein.

„Was auch Gründe haben könnte, Nourina“, antwortete er ernst.

„Dass es für alles Gründe gibt, habe ich verstanden“, konterte sie leicht ungehalten und überlegte, den nächsten Schluck zu nehmen.

Was sie schließlich tat. Sie wollte sich jetzt gehen lassen. Und sie wollte vor Ilay gar nichts mehr verbergen.

„Aber warum finden wir diese Gründe dann nicht?“, fragte sie, „oder zumindest, warum ist es uns nicht bewusst?“

„Unter Umständen“, runzelte er seine Stirn, „weil manches durchaus über unsere Generationslinien kommt. Und zwar über unsere fleischlichen Vorfahren, deren Fleisch und Blut wir sozusagen sind.“

„Schon wieder Blut“, musste Nourina lächeln und nahm den nächsten Schluck.

„Tja“, murmelte Ilay, „Blut ist dicker als Wasser“, woraufhin Nourina den zitierten Volksspruch zum Anlass nahm, weiter Wein zu trinken, also weder Blut noch Wasser.

„Was versteckst du, Nourina?“, fragte Ilay plötzlich, völlig entwaffnend.

„Meinen Unmut“, schoss es aus ihr heraus.

„Welchen?“, fragte er und musste selbst schwer atmen.

„Keine bekommen zu können“, antwortete sie.

„Wer sagt das?“, fragte er mit schwerer Zunge, was nicht nur am Wein lag.

„Ärzte“, stieß sie aus.

„Du“, konterte er, woraufhin sie überhaupt nicht anders konnte, als das Glas in einem Zug zu leeren.

„Möchtest du mehr?“, fragte er, was doppelsinnig gemeint war.

So viel verstand Nourina jene Sekunden noch, die sie ihm das leere Glas hinhielt und ihn nahezu fordernd ansah. Selbstverständlich kam er ihrer unausgesprochenen Aufforderung nach.

„Du allein“, wiederholte er.

„Was ich?“, fragte sie erschüttert.

„Du stehst dir selbst im Weg“, atmete er aus.

„Spinnst du?“, warf sie ihm entgegen und riss ihre Augen weit auf.

„Siehst du es nicht?“, antwortete er ganz ruhig.

„Was?“, stürzte sie seine Worte wie einen Schluck herunter.

„Deinen Hass.“

„Du bist bekloppt“, entfuhr es ihr erbost.

„Das passiert immer, wenn es an uns selbst geht“, entgegnete er leise.

„Welches Selbst?“, lachte sie höhnisch auf.

„Das Selbst, das wir uns über Jahre hinweg aufgebaut haben, um zu überleben“, antwortete er prompt.

„Womit dann auch unsere zutiefst sitzenden Wünsche sterben, oder was?“, bemühte sie sich, nicht zu schreien, doch ihre Worte waren scharf.

„Wer hat dich abgeschossen?“, fuhr er mit seinen Fragen fort.

„Oh mein Gott“, stammelte sie und setzte brüsk das Glas auf der Glasplatte ab. „Du bist ein Tier!“

„Ich bin nicht das Tier“, setzte ihr Ilay entgegen. „Das Tier erscheint zum Ende der Zeit in seiner reinen Form und Natur, einer Instinktnatur übrigens. Was andere anhält, entweder in Schockstarre zu verharren oder zu fliehen. Was hast du gewählt?“, fragte er ruhig.

„Oh mein Gott“, entfuhr es Nourina erneut, „meine Güte“, besann sie sich und versuchte zu überlegen.

Was hatte sie getan.

„Angriff?“, fragte sie.

Ilay nickte.

„Oder bist du angegriffen worden?“, fragte er sanft, was sie zum Explodieren brachte.

„Das habe ich dir doch schon erzählt“, schrie sie und wollte schon aufstehen, um wegzurennen. „Oder doch Flucht?“, fragte sie leise.

„Du hast mir das mit deinem Kumpel erzählt“, nickte er. „Was war dann?“

Nourina bemühte sich redlich, Antworten in sich selbst zu finden, da noch immer nichts darauf hindeutete, dass Ilay sie vorführen oder richten wollte. Er fragte einfach. Was ja jetzt auch nicht soo oft in ihrer Vergangenheit vorgekommen war.

„Schockstarre“, antwortete sie gefasst und blickte wieder auf die Fasern der Decke auf ihrem Schoß.

„Trauma“, nickte er.

„Dasselbe?“, fragte sie.

„Etwa“, antwortete er leise. „Manchmal partiell. Bei dir vielleicht etwas umfassender.“

Ohne dass sich hätte Nourina noch wehren können, durchzog etwas sowohl ihren Körper wie auch ihre Gedanken, das so untragbar war, dass selbst Alkohol, ebenso wie wohl auch Koks oder andere Drogen, nichts mehr hätte gegen diese übermächtigen Schmerzen ausrichten können. Einige Sekunden überlegte sie, wie sie dieses zutiefst sitzende Feuer in sich selbst überlagern konnte, doch es fiel ihr nichts ein. Vielleicht gab es schlicht nichts mehr, nachdem sie ihr Leben damit verbracht hatte, irgendein Mittel dagegen zu finden.

„Gott“, hörte sie, „Gott kann und Gott will.“

Mit diesen Worten sprang Nourina doch noch auf und rannte zur Tür.

Rasch war er ebenfalls aufgestanden und hielt sie am Ärmel fest.

„Nicht“, sagte er leise. „Du kannst nicht dein ganzes Leben lang vor dir selbst fliehen. Oder zumindest“, wurde seine Stimme noch weicher, „wird es dir nicht ewig gelingen.“

„Ewig“, spuckte sie ihm das Wort vor die Füße.

Erst jetzt wurde Nourina bewusst, wie sehr sie ‚Gott‘ und das alles mit ihm hasste. Und verachtete, durchzuckte es sie, als sie das Blut durch ihr Herz strömen fühlte wie einen Fieberstrom, was noch durch den Umstand untermalt wurde, dass sie richtig zu schwitzen begann.

„Corona?“, musste sie lachen.

„Wohl eher nicht“, entgegnete er behutsam und versuchte, nach ihrer Hand zu greifen, die sie sofort wie ein Insekt abzuschütteln versuchte.

„Ich will dir nichts Schlechtes“, reihte er seine Worte vorsichtig aneinander. „Niemand will dir im Augenblick etwas.“

Das Wort ‚Gott‘ ließ er weg. Unter Umständen hätte sie dann doch noch zum Schlag ausgeholt. Und zwar gegen ihn. Denn der Gott, den er meinte, war ja nicht sichtbar.

„Komm“, sprach er ruhig, was Nourina durch die vielen „Komms“ des jungen Mannes in ihren Träumen schon so oft gehört hatte, dass sie inzwischen doch etwas annähernd Gutes damit in Verbindung bringen konnte.

„Du rechnest es ihm zwar zu, aber er ist es nicht“, seufzte Ilay.

„Er ist ein Nichts“, stieß Nourina erbittert aus.

Eigentlich hatte sie einen Witz oder etwas Humorvolles kontern wollen. Andererseits entsprach es ihrer zutiefst sitzenden Wahrheit.

„Religiosität“, richtete er sich zu voller Größe auf. „Jede Form von Religiosität, zu der auch gehört, überhaupt nichts zu glauben“, sprach er ruhig.

„Gar nichts glauben“, antwortete sie mechanisch.

„Jedenfalls Gott nicht“, nickte er. „Der Drache, der auch der Satan ist, hatte damals nicht nur nach dem Christkind greifen wollen, sondern nach jedem Kind, das sich eine Mutter wünscht. Man könnte es auch so deuten, dass dieser Drache, der aus den Untiefen kommt, Israel angreift, aus dem Jesus Christus hervorgekommen ist. Der Drache ist Jahrtausende in Asien angebetet worden, teilweise auch als Reinkarnationen bedeutender Kaiser. Zumindest ist er eine Macht, die sich gegen das von Gott Gegebene stellt, wogegen sich der Retter Jesus Christus stellen und zu seiner Zeit all das, was uns entgegensteht, in den Feuersee werfen wird. Und vermutlich wird der Kontrast zwischen denen, die an einen lebendigen Gott glauben und jenen, die etwas anderes glauben, noch deutlicher sichtbar werden. Wenn Licht und Finsternis so richtig aufeinandertreffen. Und damit auch, wer das Heilsangebot des Christus annehmen kann und wer nicht. Wer meint, es selbst schaffen zu können und wer meint, Rettung durchaus in Anspruch nehmen zu wollen“, atmete er schwer aus.

„Aber manche sind doch glücklich und bekommen alles, auch wenn sie nicht an diesen Gott glauben!“, stieß Nourina verzweifelt aus.

„Aber du weißt doch gar nicht, welche Verträge in diesen Familien gelten, welche Vorgeschichten zu welchen Resultaten bei den nachfolgenden Generationen geführt haben und welchen inneren oder äußeren Schmerzen diese immer wieder ausgesetzt sind“, setzte er ihr ebenso entschieden entgegen.

Wieder nickte Nourina einfach nur und ließ sich schließlich doch noch von Ilay zurück auf’s Sofa ziehen. Erst einmal schenkte er ihr wie sich nach, dann legte er weitere Holzscheite ins Feuer, denen Nourina wie gebannt beim Verbrennen zusah.

„Verträge?“, fragte Nourina, nachdem sie sich wieder etwas wohler fühlte.

„Verträge, Überschreibungen an die andere Seite, also wie Opferungen“, nickte Ilay.

„Von Kindern?“, fragte sie.

„Auch von Kindern“, antwortete er ernst. „Im Nazireich haben Offiziere ihr Leben durch einen Eid Hitler übertragen, sozusagen einem Stellvertreter Satans. Das geht dann aber auch auf die nachfolgenden Generationen über, denn Satan fragt keinen Menschen, ob oder was der will. Wenn es in der Familie Schuld gibt, ist ihm das nur recht. Anders ist das bei Gott“, fügte Ilay milde hinzu. „Gott fragt jeden, was er will.“

„Freier Wille“, murmelte Nourina.

„Freier Wille“, nickte Ilay. „Und Gott will segnen“, lächelte er. „Bis in die tausendste Generation hinein, denn Gott ist eigentlich sehr großzügig. Wenn wir ihn nur machen ließen“, flüsterte er.

„Also bin ich selbst schuld“, atmete Nourina schwer aus.

„Unbewusst, vielleicht, deine Vorfahren, unter Umständen. Aber dafür gibt es ja das Kreuz“, sprach er ruhig aus.

„Das Kreuz“, nickte Nourina, ohne ganz zu verstehen.

„Am Kreuz kann das alles gebrochen werden“, erklärte Ilay. „Weil der Christus das alles schon durch hat und trotzdem bei Gott geblieben ist. Anders als wir, die wir entweder gern fremde Mächte rufen oder nur an uns selbst als mächtige Gestalt glauben“, erläuterte er.

„Mit zweifelhaftem Ergebnis“, verstand Nourina recht.

„Inklusive Zweifeln“, musste Ilay lächeln. „So wie es die Schlange im Garten ausnutzte, indem sie bei Eva Zweifel säte, als sie diese fragte, ob Gott wirklich gesagt habe. Und das, Nuri, solltest du jetzt mal bei dir selbst überlegen“, fand er.

„Okay“, äußerte die und starrte weiterhin ins Feuer.

„Aber mach dich nicht allzu fertig“, lächelte er ihr zu, „das Volk Gottes hat 40 Jahre gebraucht, um aus der Wüste raus zu kommen, weil es Gott eben auch nicht geglaubt hat“, fügte er hinzu, woraufhin sie ihm ihr Glas hinhielt und „Bitte“ sagte.

„Was?“, musste er lachen.

„Jesu Blut für mich vergossen, bitte. Wir können uns auch gerne vor seinen Thron stellen“, antwortete sie ernst.

„Machen wir“, nickte er, stand auf, zog sie bei ihrer Hand hoch und platzierte sie vor der Glasfront zum Garten.

„Gott, wir kommen jetzt vor dich“, lächelte Nourina zunächst, um sich dann doch etwas unsicher nach Ilay umzublicken, der ihr aufmunternd zunickte. „Okay“, besann sie sich. „Gott, ich habe das noch nie selbständig gemacht, aber irgendwie machen das Dominik und Ilay ja auch, woher auch immer sie das haben.“

„Weil Gott in der Bibel so geschildert wird, und weil du das mit geöffneten Augen irgendwann auch sehen kannst“, murmelte Ilay hinter ihr.

„Okay“, nickte Nourina und starrte nach draußen, um sich kurz darauf wieder nach ihm umzudrehen. „Ich war im Traum in so einem Garten“, deutete sie nach draußen.

Ilay nickte und blickte ihr einfach in die Augen. Also drehte sie sich wieder um und fuhr fort.

„Also Gott, ich verstehe ja wirklich nicht so viel von dir, kann man vielleicht auch nicht, denn du bist ja unsichtbar“, setzte sie an, um dann ganz langsam in so etwas wie Nebel einzutauchen, von dem sie meinte, er habe sich soeben vor ihr aufgetan.

Dann wurde alles ganz weich in ihr und um sie herum. 

„Du bist damals im Garten Eden abends spazieren gegangen und hast dort mit Adam und Eva, mit deinen Kindern von Angesicht zu Angesicht gesprochen. Und ich möchte das jetzt auch, denn ich bin ja jetzt auch dein Kind“, fuhr sie fort.

„Durch die Taufe hast du seine Kindschaft angenommen und bist jetzt kein Waisenkind mehr“, erläuterte Ilay.

„Also okay“, setzte Nourina wieder an, „ich bin jetzt keine Waise mehr. Und du bist jetzt auch mein Vater. Komisches Wort“, drehte sie sich wieder zu Ilay um.

„Jesus hat es vorgemacht“, äußerte dieser.

„Gut, dann bin ich jetzt auch ganz Kind“, lächelte sie und blickte wieder nach draußen.

Für eine Weile blieb Nourina still. Sie wusste nicht, ob das der Wein war oder was da in ihr wirkte, jedenfalls hatte sie das Gefühl, als stiege in ihr etwas hoch oder geschehe etwas mitten in ihr selbst.

„Oh, Gott“, sprach sie aus, „ich glaube, ich habe dich gehasst. Richtig gehasst. Und damit alles, was mit dir überhaupt zu tun hat. Ich dachte, du wolltest nicht, dass ich glücklich bin. Dass du keine Kinder für mich wolltest“, schoss es aus ihr heraus und trat wieder dieser Schmerz in ihr Inneres, der ihr unbezähmbar vorkam. „Gott, hat das alles weh getan“, begann sie zu schluchzen, „dieses ganze Leben, selbst nicht zu können und immer auf die anderen schauen zu müssen, die alles hatten und die alles bekommen haben“, begann sie zu zittern. „Warum hast du mich das erleben lassen?“, fragte sie. „Warum hast du mich geschaffen, um mir dann so ein Leid anzutun?“, wimmerte sie.

Fast wollte Ilay eingreifen, da er fand, dies hier führe zu gar nix. Doch irgendetwas hielt ihn zurück.

„Ich bin ein Versager“, strömte es auch Nourina heraus, was sie veranlasste, zu Boden zu sinken.

Ganz langsam. Als schmiere sie an einer Wand aus Glas ab.

„Aber ich weiß einfach nicht, was ich falsch gemacht habe“, bekam ihre Stimme einen flehenden Unterton.

Plötzlich sah Nourina das Kreuz. Und sie sah ein Lamm. Dann sie sah, wie etwas oder jemand regelrecht geschlachtet wurde. Wie überall Blut spritze. Bis ihr komplett schlecht davon wurde. Da sie so zusammengekauert am Boden saß, brachte sie nicht einmal mehr den Mut auf, sich an Ilay zu wenden, geschweige denn ihn anzusehen. Dem ging es ähnlich schlecht. Irgendwie entglitt das alles auch seiner Kontrolle. Eigentlich hatte das immer anders ausgesehen, wenn er mit Menschen vor Gottes Thron getreten war. Mit Nourina schien einfach alles anders zu sein. Trotzdem fand er nicht die Kraft einzugreifen. Also ließ er es geschehen.

„Gott“, wischte sich Nourina eigenhändig die Tränen aus ihren Augen, „ich weiß, dass ich als Kind von jemandem erzählt habe, der unter Umständen du gewesen bist.“

Erstaunt blickte Ilay auf.

„Vielleicht waren wir uns damals nahe, als ich noch ein Kind gewesen bin“, schluchzte Nourina.

Hinter ihr nickte Ilay, ohne dass sie das bemerkt hätte. Es hieß, wusste Ilay, dass Kinder noch in der Lage waren, in die geistliche, also in die unsichtbare Welt zu schauen. Und dass sie sich mit etwa zwölf bis vierzehn Jahren bewusst für oder gegen Gott entscheiden sollten. Eben dann, wenn ihr Bewusstsein so weit gereift war, Entscheidungen selbst treffen zu können. Von Jesus hieß es, dass er im Alter von zwölf Jahren, während sie Pessach feierten, den Tempel als sein Zuhause erkannt hatte. Bar Mizwa oder Bar Mitzvah, Kommunion und Konfirmation wurden wohl auch aus diesem Grund etwa um diese Zeitpunkte herum gefeiert. Fieberhaft überlegte Ilay, wann das mit Nourinas Kumpel geschehen war. Doch schon erzählte sie selbst davon.

„Damals, Gott, hat mich das sehr getroffen und habe ich mich sehr allein gefühlt. Eben auch verlassen von dir. Von meinen Eltern sowieso. Und meine Umgebung war auch sehr seltsam“, fuhr sie etwas gefasster fort. „Die wollten von dem ganzen Schrott gar nix hören. Und ich dann irgendwann auch nicht mehr. Aber ich glaube, damals habe ich dich verloren. Und dann wollte ich nur noch siegen. Oder durchs Rudern diese entsetzlichen inneren Schmerzen überlagern. Oder mich bei den Feiern einfach nur noch zuschütten. Ausschalten vielleicht. Alles“, stammelte sie.

Während Nourina offensichtlich ihre Jugend vor ihrem geistigen Auge abspulen ließ, dachte Ilay daran, dass Organisationen, die mit Menschen aus der Sexbranche zu tun hatten, behaupteten, zu einem hohen Prozentteil, etwa 90 Prozent meinte er sich zu erinnern, seien vor ihrem vierzehnten Lebensjahr vergewaltigt oder missbraucht worden. Insofern war sie unter Umständen sogar noch vor dem Äußersten bewahrt worden.

„Weißt du“, fuhr Nourina versunken fort, „es ist nicht so, dass ich den Schwarzen Mann, den Dunklen, nicht etwa damals schon irgendwie gewittert oder gesehen hätte. Aber ich habe mir einfach keine Gedanken darum gemacht. Und mit Thorsten habe ich dann einfach alles versucht, ohne nachzudenken. Aber es war auch viel Traurigkeit dabei, Gott. Das Haus war oft sehr still und Thorsten kam oft erst sehr spät abends nach Hause. Als sei er mir ausgewichen“, durchzuckte es sie. „Ich dachte, er wollte immer Kinder haben?“, drehte sie sich jetzt doch zu Ilay um, der ihren Schilderungen gebannt lauschte.

Der zuckte einfach mit den Schultern.

„Wie auch immer“, wandte sich Nourina wieder der Fensterfront und damit dem Garten zu, „waren wir nicht so recht glücklich“, schloss sie, setzte ihre Fingerkuppen auf dem Holzboden ab, stemmte ihren Oberkörper nach oben und stand wieder auf. „Am Anfang ist mir das gar nicht so aufgefallen“, erzählte sie einfach weiter, „aber mit der Zeit wurde auch unser Leben immer düsterer, also erstarrter. Als seien wir in irgendetwas erstarrt gewesen, ich wie er. Aber ich weiß auch nicht genau, was das eigentlich war“, klopfte sie auf ihre Oberschenkel, als müsse sie von dort den Staub der alten Zeit fortwischen. „Weißt du es?“, fragte sie, womit Ilay nicht wusste, wen sie jetzt meinte, Gott oder ihn, der in Gottes Geist einiges sehen konnte, was dieser ihm zu offenbaren gedachte. „Wie erstarrt“, wiederholte sie und blickte sich nach Ilay um.

„Erstarren hat viel mit innerem Tod zu tun“, begann Ilay. „Manche Menschen sind sich dessen gar nicht bewusst, dass sie wie von Leben abgeschnitten sind, weil sie ja alles versuchen, um sich lebendig zu fühlen.“

Nourina nickte. Das hatten die im babylonischen Feier-Tempel wohl auch getan. Fragte sich, was die jetzt alle angesichts der Ausgangsbeschränkungen taten.

„Vielen ist ja auch nicht mehr vermittelt worden, dass es eine lebendige Quelle gibt, also Gott selbst“, erklärte er. „Dass sie, vielleicht unbewusst, dem Tod ihre Hand gereicht haben. Nachdem ihnen vielleicht auch irgendetwas geschehen ist, warum sie Gott dann gehasst haben. Oder weil sie ihn nie kennengelernt oder nähergebracht bekommen haben“, zuckte Ilay wieder mit den Schultern und überlegte, wohin ihn sein ganzes Wissen führte, oder sie. „Viele ahnen nicht einmal, was Gott ihnen oder ihren Familien eigentlich schenken wollte oder immer noch will“, fuhr er fort. „Bei dir ist das relativ einfach“, musste er plötzlich auflachen. „Deine Familie war oder ist künstlerisch angelegt, Nuri. Eigentlich sollten sie die Schönheit Gottes durch Kunst zum Ausdruck bringen, Gottes Wirken und Können anderen dadurch vermitteln.“

„Wie bei dir?“, lächelte nun auch sie.

„Wie bei mir“, wiederholte er andächtig.

So deutlich hatte er das vor ihr nie gesehen. Es war ihm bis zu ihr nicht einmal bewusst gewesen, als sich Nourina ihm zuwandte und fragte: „Was ist dir geschehen, Ilay?“

„Was mir geschehen ist?“, wiederholte er und blickte in den Garten, als stünde dort die Antwort.

Es steht geschrieben, erinnerte er sich an die Bibel und den Tanach. Wie oft hatte er Zeilen rezitiert oder weitergegeben. Wie lange war auch ihm das Wort Gottes nicht lebendig geworden, das er ausgesprochen oder hatte vermitteln wollen. Was der Christus war.

„Tja“, setzte er an.

Nourina hatte sich quasi vor Gott in dessen Gegenwart ausgezogen. Vielleicht war es nun an ihm, es ihr gleich zu tun.

„Mein Vater war Rabbiner, streng gläubig“, begann er. „Er war für eine kleine Gemeinde verantwortlich, legte dort die Vorschriften der Tora aus und beriet in religiösen Fragen. Meine Mutter kümmerte sich um den kompletten Haushalt, gerade bei Festen – und das waren viele“, lächelte Ilay Nourina an, die wieder reflexartig nickte.

„Wir haben alle jüdischen Feste peinlich genau zelebriert“, fuhr er fort, „aber irgendwie, Gott nimm es mir bitte nicht übel, war das manchmal auch recht hohl, und konnten mein Bruder David und ich nicht genau erkennen, warum wir jetzt was machen sollten. Und als ich dann dieses Mädchen kennengelernt habe, das in ihren Augen nicht standesgemäß genug war, hat es richtig zwischen mir und meinen Eltern gekracht. Da haben sie mich gefragt, warum ich das täte, warum ich sie so … demütigen würde. Aber ich liebte Johanna, von ganzem Herzen. Sie war meine erste große Liebe, und das hinterlässt Spuren“, bemühte sich Ilay um ein Lächeln.

„Du kannst mir vertrauen“, ermunterte ihn Nourina, wie er jüngst sie.

„Es kam zum Streit“, erklärte er.

„Du bist rausgeflogen“, war ihr dieser Umstand plötzlich nicht mehr fremd.

„Ich bin rausgeflogen“, nickte er. „Nicht viel anders als dein Vater und seine Brüder.“

„Gott, wie furchtbar“, entfuhr es ihr.

„Na ja, und als ich dann da so klagte an der Klagemauer“, entwich ihm ein kurzes Auflachen, „sah ich plötzlich den Christus. Nachdem ich mich habe taufen lassen, auf den Namen Jesus Christus, kannst du dir vorstellen …“

„… wurde dir die Tür zu Hause verschlossen“, ergänzte sie.

„Seither bin ich Künstler, etwa“, nickte er.

„Auch nicht leicht“, erwiderte sie sein Nicken.

„Tja“, wiederholte er.

„Komm“, sagte sie und nahm nun ihn bei seiner Hand, führte ihn zum Sofa, gehiess ihm Platz zu nehmen, schenkte ihm und ihr wieder ein, füllte den Kamin mit ein paar Holzscheiten und machte es sich neben ihm gemütlich.

„Tja“, wiederholte Ilay nach einer Weile erneut, „das ist alles schon sehr seltsam.“

„Was?“, fragte Nourina.

„Das mit Gott“, antwortete er. „Manchmal denke ich, Bingo, alles gut verstanden und voll drin. Dann wieder geschehen Dinge, da ich unsicher werde und mich frage: Was ist denn jetzt los? Warum geschieht das so? Und ähnlich wie du: Was habe ich falsch gemacht?“

„Tja“, griff sie sein Wort auf, „vermutlich, wenn ich das recht verstanden habe, hat man in seinem eigenen Verstehen nie Sicherheit, sondern muss sich immer bewusst sein, dass man eben nichts anderes Gott gegenüber ist als einfach nur Kind. Und das bedeutet wohl auch strikt, dass wir Gott nie werden das Wasser reichen können, sondern immer nur an seiner Hand gehen können, und uns wohl auch führen lassen müssen.“

„Das hast du schön gesagt“, nickte er und nahm einen Schluck Wein. „Warum ist alles so anders mit dir, Nourina von Stetten?“, lächelte er sie schließlich an, woraufhin sie ihr Glas erhob und ihm zuprostete.

„Vielleicht, weil sehr vieles in Gott einen verborgenen Sinn hat“, antwortete sie unumwunden.

„Das wird wohl so sein“, entgegnete er und nahm einen weiteren Schluck des köstlichen Rotweins.

„Und jetzt?“, fragte er.

„Und jetzt würde ich gern hier bleiben“, äußerte sie, zu ihrem eigenen Erstaunen recht selbstbewusst.

„Gut“, nickte er.

„Ich würde gern auf dem Sofa schlafen“, lächelte sie ihn an.

„Kein Problem“, nickte er.

„Danke“, sagte sie und sah ihn aufmerksam an.

„Gern“, entgegnete er, auch wenn er keine Ahnung hatte, wohin ihn das alles führen sollte.

Auszüge aus ALLEN Geschichten

Kapitel I des Romans Sommerröte von Isabelle Dreher

Als die Flut kam

Joa hatte es ihr beigebracht: nicht zu verurteilen. Niemanden. Auch sich selbst nicht. Er führte sie an Orte, die sie ohne ihn nie gefunden hätte. Orte in ihrem Inneren, zu denen die Türen Zeit ihres Lebens verschlossen gewesen waren.

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Kapitel Streifen der Zerrissenheit Roman Sommerröte von Isabelle Dreher

Streifen der Zerrissenheit

Ohne es zu wollen, blickte Ceija auf die Wundmale des Mannes, der am Kreuz hing. Er war aus Holz und sah nicht gut aus. Eigentlich hatte sie sich nur eine kleine Auszeit von dem Geräuschpegel im Zelt, nehmen wollen den

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Kapitel In der Finsternis Roman Sommerröte von Isabelle Dreher

In der Finsternis

Lissy kniete auf dem Boden und dachte an ihren Pokal. Sie sehnte sich nach einem menschlichen Geräusch, nach einer menschlichen Stimme, die Gutes zu ihr sprach. Doch da war nichts als das kalte Echo der Mauern, das nackte Grauen vollkommener

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Kapitel Du musst für Gerechtigkeit sorgen Roman Sommerröte von Isabelle Dreher

Du musst für Gerechtigkeit sorgen

Joshua kam nach einer kräftezehrenden Nacht um zehn Uhr morgens in einem Staat an, der Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert hatte. Da er eine Kippa trug, die hierzulande wohl selten zu sehen war, freute er sich, in Berlin Frauen mit Kopftüchern

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Kapitel Liebe und Gleichgültigkeit

Liebe und Gleichgültigkeit

Samstagabend hatte Helena alle zu einem Festessen geladen, von dem sie sich auch versprach, dass Max auf die ein oder andere Weise mit dem Wachstum ihrer Familie fortan klarkommen, wenn nicht gar Frieden schließen würde.

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Kapitel Im Zeichen der Selbstverherrlichung Roman von Isabelle Dreher

Im Zeichen der Selbstverherrlichung

„Sehen Sie“, begann Frau Kalkstein.
Helena, die wirklich gut zuhören wollte, blickte auf den Mund der Frau und war einige Zeit damit beschäftigt, zu überlegen, woran sie dieses ‚Sehen Sie‘ erinnerte.

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Kapitel Ungezählte Destinationen Roman Winterfachen von Isabelle Dreher

Ungezählte Destinationen

„Einer hat mehrere Menschen mit Migrationshintergrund umgebracht und dann sich selbst“, informierte Nourina ihr Gegenüber, das neben ihr saß und konzentriert die Wirtschaftsmeldungen der vergangenen Stunden durchging.

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Kapitel Mit Leben getauft Roman Winterfachen von Isabelle Dreher

Mit Leben getauft

Als sie erwachte, musste Nourina so fürchterlich husten, dass ihr war, als bekomme sie keine Luft mehr. Nachdem sie sich aufgerichtet hatte und wieder atmen konnte, blickte sie sich in ihrem Schlafzimmer um und dachte darüber nach, was sie alles

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Kapitel Glaube ist eine Waffe Roman Winterfachen von Isabelle Dreher

Glaube ist eine Waffe

„Wie war denn dein Tag?“, fragte Ilay seine Frau, nachdem er alles gegeben hatte und sie in seinen Arm zog, nicht anders als es der Christus getan hätte.
„Schön“, flüsterte sie, noch immer benommen von den Momenten in Jerusalem,

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Kapitel In einem anderen Reich GoldenTor

Ich bin anders

Reglos stand das Mädchen vor der Müllkippe. Mit geschlossenen Augen nahm es den Geruch von Abfall, Verwesung und Eisen wahr. Wie ein Brechmittel kam ihr das vor.

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Kapitel Das Buch deines Lebens GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Das Buch deines Lebens

„Ist das Eden?“, fragte Toni, als sie mit ihm durch das herrliche Tor schritt.
„Weißt du denn wo Eden liegt?“, fragte Jeschua lächelnd, der sie sicheren Schrittes nach drüben geleitete.

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GoldenTor-Geschichte Bei uns gelten andere Gesetze

Bei uns gelten andere Gesetze

„Du wirst leben und du wirst Leben im Überfluss haben“, hörte Toni Jeschua sagen, der noch immer hinter ihr stand und seine Hände wieder auf ihre Schultern gelegt hatte. Toni fühlte, wie Kraft von Jeschua ausging und etwas von ihm

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Kapitel Steigt herauf GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Steigt herauf

Ephania Lopez war ganz Gastgeberin und begrüßte allesamt herzlich. Es waren etwa dreißig Kinder gekommen, über die die Direktorin vorher schon mit den Dreien gesprochen hatte.

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Kapitel Wie eine Wand GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Wie eine Wand

Nachdem Toni eine Zeitlang im Ferieninternat gewesen war, wo sie vieles gelernt und auch Gott Vater, seinen Sohn Jeschua und den Heiligen Geist Ruach besser kennengelernt hatte, kehrte sie zurück ins Schloss, wo sie neben ihrer Freundin Alisha lebte.

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Kapitel Wieder vereint GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Wieder vereint

Alisha und Ramon blickten sich erstaunt an und folgten dann Jeschua und Ruach. Toni blieb etwas ratlos zurück. Nach allem traute sie sich kaum zu fragen: Und was ist mit mir? Ihr Herz machte solch einen Lärm, den Gott Vater

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Kapitel Macht euch bereit

Macht euch bereit

Als Toni am nächsten Morgen in ihrem Zimmer im Schloss aufwachte fühlte sie, dass etwas tief in ihr wieder ganz war. Sie freute sich auf das Frühstück, auch wenn sie ihre Freunde aus dem Ferieninternat vermisste. Dafür war Alisha da.

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GoldenTor-Geschichte In einer Zeit wie diese

Die goldene Stadt

Nachdem Toni die Zeit ganz verloren hatte, nahm sie lichtdurchflutete Engel zu beiden Seiten des Weges und an den Seiten zum Eingangstor wahr. Darüber war eine goldene Tafel angebracht und auf der stand ‚Jeru Schalim‘, was so viel hieß wie

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Kapitel An einem verborgenen Ort GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

An einem verborgenen Ort

Nach einem ereignisreichen Abend wachte Toni gut gelaunt in ihrem Zimmer im Schloss auf. Mit Jeschua, ihren FreundInnen aus dem Internat und Alisha, ihrer Zimmernachbarin, wollte sie eine Band gründen.

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Kapitel Siehe ich mache Neues GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Siehe, ich mache Neues

Wie geduscht wachte Toni am kommenden Morgen auf und fand sich dem gegenüber, der sie wie eine Pflanze bewässerte.
„Wunder“, strahlte sie Jeschua an, „du tust Wunder über Wunder.“
„Nun bist du kein Waisenkind mehr“, strahlte der Strahlende

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