Im Herbst des Lebens – Winterfachen
Es geschah an einem verregneten Novemberabend in dem Haus, das sie bald verlassen würde. Gleich sollten die Gäste kommen. Nourina hatte Gulasch vorbereitet. Nicht mehr lange, und sie würde erkennen, dass da mehr für sie war. Dass sie einen anderen Namen bekommen sollte. Dass sie nicht mehr blind sein würde. Nicht für die Schönheit dieser Welt, nicht für ihre eigene, nicht für die der Menschen um sie herum und nicht für das Eine, für das es sich wirklich lohnte zu leben. Nach was so viele auf dieser Welt ebenfalls suchten. Und finden konnten. Erst in sich selbst und dann in dem Einen, der alles gleichzeitig war und sich täglich neu vor ihnen entfaltete. Wie in einer neu gemachten Welt.
Nourina machte sich in Ruhe zurecht, tauschte die dreckigen Klamotten vom Pferdestall gegen ein Kleid, prüfte im Garderobenspiegel ihre Erscheinung und befand, dass sie für eine verlassene Mitte 40-Jährige immer noch passabel aussah. Nach öffentlich geführten Diskussionen um eine Moderatorin, die sich die Haare hatte grau nachwachsen lassen, wie um eine junge Schauspielerin, die für ein Fotoshooting ihre Schamhaare unbearbeitet ließ, fühlte sich Nourina bestärkt in ihrem Entschluss, in Würde zu altern. So wie Gott sie geschaffen hatte. Von „in Würde altern“ war die Neue ihres Ehemannes zwar noch Jahrzehnte entfernt, aber immerhin verhielt sich Thorsten ihr gegenüber weitestgehend anständig. Unter anderem hatte er darauf verzichtet, Nourina schon während des Trennungsjahres aus dem Haus zu werfen, und auch die anwaltlichen Schreiben hielten sich im Bereich des menschlich Tragbaren. Sie war ihm dankbar, wie er Nourina dafür, dass sie ihm keine einzige schmutzige Szene hinlegte. Nicht einmal als er ihr eröffnet hatte, seine Clara sei schwanger. Das, was Nourina offensichtlich in 20 Jahren Ehe nicht geschafft hatte und täglich ihr Herz brach. Auch wenn es vier wunderschöne blonde Patentöchter in ihrem Leben gab, die ihr das vermittelten, was ihr auch Thorsten nicht hatte geben können: Die vollkommene Hingabe an den Augenblick in einer Natürlichkeit und Aufrichtigkeit, wie sie es selbst in den intimsten Momenten mit ihrem eigenen Mann nicht hinbekommen hatte.
Früh schon hatte sich das Paar seine Wunschkinder in den schillerndsten Farben ausgemalt und ihnen bald diesen und bald jenen Namen gegeben. Manchmal war es ein Junge gewesen, dann wieder eine lang ersehnte Tochter. Selbst Zwillinge waren ihnen in ihren Vorstellungen irgendwann nicht mehr fremd, als Nourina Hormonkuren begann, von denen sie noch in den kommenden Jahren schlecht träumte. Doch es klappte nicht. Weder auf natürlichem noch auf künstlichem Wege. In den ersten Jahren ihres gemeinsamen Lebens mit Thorsten verlor Nourina sogar einige Freundinnen, da sie es einfach nicht hinbekam, in die Kinderbettchen der anderen zu blicken, ohne ihr eigenes Fleisch und Blut darin zu erkennen. Zum Schluss erkannte sich Nourina selbst nicht mehr. Da war sie Anfang Vierzig gewesen, nach einer gewissen Zeitrechnung im besten Alter. Doch das in ihren Augen Beste kam nicht. Es blieb aus. Wie Hoffnung, die ab jenem Alter gemeinsam mit Nourinas Selbstbewusstsein langsam starb. Ab da endete auch Schritt für Schritt ihre Ehe und damit einhergehend, so empfand es zumindest Nourina, ihre Ehre. Als Frau, als Ehefrau und als Mensch. Sie konnte nicht gebären und sie konnte ihrem Mann nicht das geben, was sich dieser sehnlichst wünschte. Vor allem aber konnte Nourina ihr Schicksal nicht so annehmen, wie es ihr offenkundig zugeteilt worden war. Von dem sie fand, dass es schreiend ungerecht und entwürdigend war. Jeden Tag, den sie ab da in den Spiegel blickte, sah sie jemand an, der langsam zerfiel, ohne irgendetwas weitergegeben zu haben. Täglich räumte sie die Spülmaschine ein und wieder aus, legte die Wäsche zusammen und bügelte die Hemden. So kam es ihr nicht einmal wie ein Wunder vor, als Thorsten sie schließlich nach einer jahrelang anhaltenden und täglich gelebten Form von Hoffnungslosigkeit für jemanden verließ, der noch alles begehrte, alles noch wollte, und dem biologisch betrachtet auch noch alles offenstand. Das, was Nourina längst begraben hatte. Mit Clara und dem Kind begann für Thorsten ein Leben, das sich Nourina immer gewünscht, aber selbst in ihren kühnsten Träumen nie hatte erreichen können.
An jenem Abend nun stand plötzlich ein anderer Mann vor Nourina und bedankte sich für die Einladung, die sie ihm gegenüber nicht ausgesprochen hatte. Nourinas beste, vielleicht musste sie zugeben, einzig noch gebliebene Freundin Jenny hatte ihn einfach mitgebracht und stellte ihn als Arbeitskollegen vor. Viel später erfuhr Nourina, dass Jenny ihn für sie ausgesucht hatte, da Nourina jeden Mann und jedes Kennenlernen in Sekundenschnelle verwarf und es sich überdies verbittert verbat, mit irgendeinem Fremden in Kontakt treten zu müssen. Ihren Mann Thorsten hatte Nourina damals auf einer von Jennys legendären Partys kennengelernt, denn die und deren Mann feierten gerne und das wann immer sie konnten. Anders als Nourina, die zu Festen geradezu geschleift werden musste. Sie selbst war in einem Internat aufgewachsen, wo sie während der gesamten Schulzeit jeden Abend Party gefeiert hatten. Und das auf jeweils unterschiedlichen Zimmern der drei Internatshäuser, die Nourina „Internierungshäuser“ nannte. Zudem war sie in einem Ruderteam gewesen, das nach Abschluss der täglichen Trainingseinheiten erst richtig loslegte. Im Trinken war Nourina mit den Jungs immer weit vorne gewesen. Das bezog sich zwar auch auf ihre Siege, aber angesichts ihrer zersplitterten Familie befand sich Nourina grundsätzlich am Rande von etwas, das sie im Nachhinein mit „Kante“ bezeichnete. Alles, was nicht extrem war, langweilte sie schon nach kurzer Zeit. Und das hatte auch Thorsten zu spüren bekommen. Als Ingenieur war er nicht unbedingt dazu angelegt gewesen, ihr diesen Kick, den sie sich während ihres Heranwachsens täglich genommen hatte, dauerhaft zu verschaffen. Diese Dauerhaftigkeit verschaffte Thorsten offenkundig jener Clara derzeit, die sowas von „normal“ war, dass es Nourina zu Anfang fast die Sprache verschlagen hatte, als Thorsten nach Jahren des parallelen Frauenteilens endlich den Mut gefunden hatte, Nourina von ihr zu erzählen. Danach hatte sie sich zwei Wochen lang wortlos von ihm abgeschottet, was Thorsten Zeit gelassen hatte, in Ruhe seine Sachen zu sortieren und zu packen. Seither lebte Nourina allein in dem Haus, das ihm seine Eltern wenige Tage vor der Eheschließung rasch übertragen hatten. Und noch ehe die ersten Gäste seit der Trennung jenen trostlosen Novemberabend erschienen, hatte Thorstens Tochter Lilly bereits das Licht der Welt erblickt. Nourinas Selbstmitleid war inzwischen ins Unermessliche gestiegen, dass selbst der beheizte Pool draußen keine wohlige Wärme oder Entspannung mehr brachte. Seit einiger Zeit kümmerte sich Nourina weder um den Pool noch um sich selbst.
Und dann stand Dominik vor ihr. Grauer Haaransatz, Dreitagebart, strahlend blaue Augen und eine Flasche Wein in der Hand. Zwar verdutzt, dennoch formvollendet nickte Nourina ihm zu und ließ ihn mit Jenny eintreten. Dominik war nichtdeutscher Herkunft, was sie noch nie interessiert hatte, denn im Internat war das normal gewesen. Für Nourina waren alle Menschen gleich, selbst die, die sich aus religiösen Gründen mit anderen in die Luft und damit wohl ins Jenseits sprengten. Durch ihren Extremsport und die täglichen Trainingseinheiten damals hatte Nourina immer irgendwie im Abseits gestanden. Nicht anders war es unter Umständen Dominik ergangen, der gerade den guten Wein lobte, den er nicht mitgebracht hatte, sondern den Nourina auf den Tisch stellte, um nach einer lange währenden Trauerzeit mit ihren Gästen endlich auf so etwas wie Leben anzustoßen. Den Wein hatte Thorsten ehemals für besondere Anlässe aufgehoben, die sie beide zum Ende ihrer Ehe gar nicht mehr geteilt hatten. Um auf andere Gedanken zu kommen, richtete Nourina das Wort an ihren fremden Gast.
„Und Sie sind ein Arbeitskollege von Jenny?“, fragte Nourina und blickte Dominik an.
Jenny musste unwillkürlich lachen, denn genau genommen war Dominik der alleinstehende Vater einer Schulfreundin ihrer jüngsten Tochter. Von was Jenny wusste, dass Nourina ihr niemals gestattet hätte, so jemanden mitzubringen. Ob mit oder ohne gescheiterte Ehe. Immerhin erinnerte jemand wie dieser Mann Nourina daran, was ihr auf ihrem eigenen Lebensweg nicht vergönnt gewesen war: Eine eigene kleine Lebenseinheit. Dass auch er dieser Perspektive verlustig gegangen war, erfuhr Nourina im Verlaufe des Gesprächs, den sie Dominik nach ein paar Sätzen sogar ganz nett fand. Der junge Vater konnte gut erzählen, was sie schon immer an Menschen sympathisch gefunden hatte. Immer wieder spürte Nourina, während sie das Essen auftrug, wie Dominik sie beobachtete. Und sie fühlte die Blicke ihrer Freundin Jenny auf sich gerichtet, die wohl sehr gespannt darauf war zu erfahren, ob Nourina in der Lage sein würde, einen Mann in ihr Leben, wenn nicht sogar wieder in ihr Herz zu lassen. Und das gute zwei Wochen vor Auszug aus dem Haus, in dem sämtliche Träume von Nourina geplatzt waren. In einem Wohlstand, der ihr nicht das Glück hatte verschaffen können, wie es Nourina ihr gesamtes Leben lang ersehnt hatte. Mit jemandem glücklich zu sein und das möglichst im Rahmen einer gut funktionierenden Familie. Die sie selbst nicht erlebt und darum vielleicht auch mit Thorsten nicht hatte konsequent aufbauen können. Selbst nicht zu Anfang, als Hoffnung noch eine gewisse Rolle gespielt hatte. Die Nourina inzwischen gänzlich verspielt hatte. So viel war ihr mit ihren immerhin 45 Jahren inzwischen klar. Nicht so klar war ihr jene Zeit und auch jenen Abend nicht, wie alles weitergehen sollte oder überhaupt weitergehen konnte.
Es mochte Nourinas vollkommener Verzweiflung geschuldet sein, die sie nach einem guten Essen mit einigen Alkoholeinheiten dazu veranlasste, nach Jennys Verschwinden den jungen Mann zu bitten, doch noch zu bleiben. Der ging gerne auf ihr Angebot ein, denn Nourina war eine immer noch schöne und dazu äußerst humorvolle Frau. Zudem konnte er sich mit ihr über sämtliche in Scheidungskreisen einschlägig bekannte Anwälte unterhalten, die sich nur Menschen leisten konnten, denen es finanziell gut bis sehr gut ging. Er selbst eröffnete ihr jenen Abend nicht, dass er durch das Erbe seiner Eltern abgesichert war, was sein Leid in keiner Weise minderte. An dem Haus wiederum konnte er ablesen, dass auch Nourina auf eine gewisse Form von Reichtum zurückblickte, wie schwer auch immer ihr Leid wog. Auch wenn Nourina nicht unbedingt darauf erpicht war, sich Schilderungen über die gemeinsame Zeit von Erwachsenen mit ihren Sprösslingen anzuhören, tat sie es bei Dominik doch gerne, da sie auf diese Weise mehr über ihn und seinen Umgang mit Herausforderungen erfuhr. Sie selbst war jenen Abend nicht bereit, sämtliche Schilderungen über ihren Lebensuntergang kundzutun, womit im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren aber schon viel gewonnen war, da sie sich diesmal nicht eigenmächtig an einen imaginären Pranger stellte. Außerdem erinnerte sie das Zusammensein mit Dominik an die Momente im Internat, wo sie die immer wieder neu eingewiesenen Schüler kennengelernt hatte. Und das war seit jeher etwas gewesen, was Nourina gemocht hatte. Die Geschichten und Interpretationen von Leben der anderen zu hören. Auch Dominik interpretierte sein Leben ihr gegenüber als etwas, das einer gewissen Zwangsläufigkeit geschuldet war, nämlich einer nicht umfassend aufgearbeiteten Herangehensweise an das andere Geschlecht.
„Aber um was geht es denn bei Mann und Frau?“, fragte Nourina, die den Alkohol sehr deutlich durch ihr Gehirn, also eher durch ihr Sprachzentrum fließen spürte.
„Es geht um Anteilnahme, um Interesse an dem anderen, an dem, was er denkt, was er mitbringt und was er möchte“, entgegnete Dominik wie aus der Pistole geschossen.
Offenkundig hatte er sich schon etwas ausführlicher mit dem Thema beschäftigt, das Nourina zeitlebens zu anstrengend, weil viel zu unübersichtlich vorgekommen war. In einer Welt, in der alle alles sein und scheinbar alles erreichen konnten, sofern sie nur wollten, fühlte sie sich einfach nicht mehr wohl. Als sei sie abgehängt worden, ohne jemals verstanden zu haben, warum überhaupt.
„Aber reicht das denn?“, fragte sie und goss ihnen beiden wieder von dem Schnaps ein, den ihr Jenny von einem ihrer Freunde mitgebracht hatte.
Der brannte diesen Schnaps selbst und der war, wie alle fanden, einfach umwerfend. Ähnlich umwerfend fand Nourina Dominiks Antwort, nach der sie sich auf ihrem Stuhl erst einmal zurechtrücken musste.
„Wir sind als Team ausgesucht worden, von einem Gott, der uns gleichberechtigt geschaffen hat, auch wenn das dieser Tage anders aussieht“, lächelte Dominik formvollendet und traf damit einen gewissen Nerv in Nourina, die von so vielen Göttern schon gehört hatte, dass sie an keinem irgendetwas Gutes finden konnte.
„An welchen Gott glauben Sie denn jetzt?“, entfuhr es Nourina gewohnt streng, was sie ihm gegenüber allerdings gerne vermieden hätte.
Aber wie das so war mit einem von Alkohol angefülltem Sprach- und Denkzentrum, bei ihr schoss es dann ungefiltert heraus. Ähnlich ungefiltert antwortete ihr ungeladener Gast.
„Der, der für uns alles gelitten hat“, lächelte dieser, blickte ihr geradewegs in die Augen und kippte das selbstgebrannte Obst wie Limonade herunter.
„Haben Sie etwa auch Leistungssport betrieben?“, entfuhr es Nourina brüsk, die ihr Gegenüber zu enttarnen versuchte.
Dominik musste lachen.
„Rugby“, nickte er.
„Und woher genau kommen Sie?“, fragte Nourina und leerte ihr Glas ebenfalls in einem Zug, da sie ihm in nichts nachstehen wollte.
Zudem hatte sie genau diesen Zug als Jugendliche jahrelang einstudiert und praktiziert. Bis heute, stellte sie leicht verwundert fest, auch wenn sie nicht mehr ganz so fest in ihrem Leben stand – seit damals. Aber schon als Jugendliche hatte ihr ein gewisser Halt gefehlt, was sie Dominik allerdings nicht sofort als umfassende Wahrheit auf dessen schöne Nase binden wollte.
„Rom“, entgegnete der lässig.
„Oh“, machte Nourina und schenkte nach.
So, wie sie das von damals gewohnt war. Ohne darüber nachzudenken. Aber auch Dominik schien diesen Trinksport gewohnt zu sein, denn er zog mit.
„Rom ist ja schon eine sehr schöne Stadt“, nickte Nourina anerkennend.
„Und Sie?“, fragte er und zog das neu gefüllte Glas mit dem Schnaps näher an sich heran, allerdings ohne sie aus den Augen zu lassen.
„Rheinland“, antwortete sie, „Godesberg, Privatschule bei Bonn, als die noch Hauptstadt war.“
Dominik nickte.
„Und waren Sie auch im Leistungssport?“, fuhr er mit den Fragen fort.
„Rudern“, antwortete Nourina und stürzte den durchsichtigen Inhalt des nächsten Gläschens wie Leitungswasser herunter.
„Ihre Eltern?“, fragte er.
„Politik“, erwiderte sie. „Und Ihre?“
„Bank“, antwortete er.
„Frauen Hausfrauen?“, lachte sie hell auf.
Diesmal fragte sie ihn mit ihrem Blick, ob er noch einen wolle.
Wie selbstverständlich schob ihr der fremde Gast sein Glas entgegen.
„Hausfrau“, antwortete er.
„Gleiches Alter?“, fragte sie.
„44“, antwortete er.
„45“, entgegnete Nourina und griff nach den leeren Gläsern.
„Darf ich etwas persönlicher werden?“, fragte Dominik fast schüchtern.
Nourina schenkte beide Gläser voll, blickte ihn an und antwortete: „Nur zu.“
„Sie leben in Scheidung?“
Nourina starrte auf die randvollen Gläser, schob ihm schließlich seines hin, erhob das ihre, prostete ihm zu und antwortete: „In zwei Wochen haben wir den letzten Termin. Und Sie?“
Dominik prostete ihr zu und sagte: „Seit einem guten halben Jahr geschieden.“
Nourina nickte und fragte: „Kinder?“
„Ein Sohn“, antwortete er.
„Lebt bei ihr?“, fragte sie.
„Lebt nach einem ordentlichen Scheidungskrieg bei mir“, entgegnete er.
„Und ist jetzt wo?“, fragte sie.
„Bei seiner Mutter“, räusperte er sich, als sei ihm dieser Umstand unangenehm.
„Gutes Verhältnis?“, fuhr sie fort.
„Eher nicht“, antwortete er, was Nourina zu einem nachdenklichen Nicken veranlasste.
„Meine Eltern haben sich scheiden lassen, da war ich zwölf“, flüsterte sie.
Er blickte sie an.
„Meine sind noch verheiratet“, antwortete er.
„Zeit schlafen zu gehen?“, fragte sie.
„Warum?“, gab er zurück.
„Weil“, machte sie und musterte ihn, beziehungsweise seine strahlend blauen Augen.
„Wovor haben Sie Angst?“, fragte er sanft und blickte in ihre dunkelgrünen Augen.
„Einen weiteren Fehler an meine vorhergehenden anzufügen“, antwortete sie ruhig.
Er nickte.
„Ist Leben ein Fehler?“, fragte er.
Nourina überlegte kurz. Ihr Leben kam ihr wie ein Fehler vor.
„Ist Ihr Leben keiner?“, gab sie unumwunden zurück.
„Ich habe einen Menschen auf dem Gewissen“, entfuhr es ihm brüsk.
Sie sah ihn mit offenem Mund an und entschied dann, es sei vielleicht besser, einfach weiter zu trinken. Also weiterzumachen. Die Interpretation seines Lebens wollte sie zu gerne hören.
„Seither glaube ich an einen Gott, der es nur gut mit uns meint“, setzte er an. „Der alles wieder in eine Form bringen kann, in der man wieder leben und – atmen kann“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
Wieder nickte Nourina.
„Wie?“, fragte sie.
„Porsche“, antwortete er.
Und schon schob sie ihm das nächste gefüllte Glas hin.
Einvernehmlich schütteten sie das Zeug herunter.
„Kein guter Ausgang?“, fragte sie.
„Er war 21“, murmelte er.
„Alkohol?“, fragte Nourina.
„Alkohol“, nickte Dominik und blickte auf die Tischplatte.
„Macht jetzt nicht so einen Spaß“, flüsterte Nourina und goss einfach nach.
„Nicht so sehr“, antwortete Dominik und blickte Nourina mit großen Augen an.
Nur wenigen Menschen hatte er das erzählt. Normalerweise war er dann gestempelt. Und zwar als fahrlässiger Mensch, mit dem man nicht gerne Umgang pflegte.
„Ihre Frau?“, fragte Nourina.
„War unkontrolliert“, wich er ihrem Blick aus.
Nourina blickte ihn weiterhin ruhig an.
„Selbstbestrafung?“, fragte sie.
Mit offenem Mund sah er sie an. Und nickte.
„Und Sie?“, fragte er.
Nourina überlegte kurz. Wirklich wieder nur sehr kurz. Für mehr fehlte ihr der Atem in diesem Augenblick.
„Kann sein“, murmelte sie und blickte in seine Meeresaugen.
„Sie werden noch Kinder bekommen“, erklärte er plötzlich und schaute seine Gastgeberin unverhohlen an.
„Sie spinnen“, atmete Nourina aus. „Pool?“, fragte sie einem Impuls folgend.
„Gute Idee“, lächelte er.