Kapitel Du musst für Gerechtigkeit sorgen Roman Isabelle Dreher

Du musst für Gerechtigkeit sorgen – Sommerröte

Joshua kam nach einer kräftezehrenden Nacht um zehn Uhr morgens in einem Staat an, der Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert hatte. Da er eine Kippa trug, die hierzulande wohl selten zu sehen war, freute er sich, in Berlin Frauen mit Kopftüchern zu begegnen. Die glaubten wenigstens noch an einen Gott, auch wenn das nicht sein Gott war. Über die deutschen Behörden hatte er Adressen von zwei von Huttens bekommen, die in Berlin lebten: Martha und Helena. Beide wohnten in der Nähe des Wannsees. Mit einem Taxi ließ er sich vom Flughafen in ein Hostel in der Mitte Berlins bringen. Nachdem sich Joshua etwas ausgeruht hatte, lief er durch die engen Gassen und erfreute sich an den sanierten Bauten, an den vielen Grünflächen und den Menschen, die sich in unterschiedlichen Sprachen unterhielten. Ein wenig kam es ihm wie das biblische Babylon vor, wo zahlreiche Nationen zusammengelebt hatten. Eine Stadt, die ebenfalls von unterschiedlichen Besatzern und Epochen geprägt gewesen war. Dass Berlin einst durch eine Mauer geteilt gewesen war, davon nahm Joshua kaum noch etwas wahr. Nachdem er sich entsprechend seines Reiseführers einige Sehenswürdigkeiten angesehen hatte, zuletzt die Hackeschen Höfe, in denen vor dem Holocaust zahlreiche Juden gelebt hatten, fröstelte den jungen Mann angesichts des kühlen Aprilwetters.

In einem der vielen kleinen Bars bestellte er sich ein deutsches Bier und befand, in Berlin ließe sich leben. Die Synagoge auf der Oranienburger Straße würde er sich für den Auftakt zum Sabbat, also für Freitag aufheben. Sein Rückflug ging nach Ostern. Bis dahin würde er sich auch ein paar Urlaubstage gönnen. Die Gedenkstätte Sachsenhausen hatte er zwar auch auf dem Zettel stehen, aber ob er in der Lage sein würde, seiner Familiengeschichte ausgerechnet dort zu begegnen, würde er von seinem Zustand abhängig machen. Je nachdem, wie es mit der Suche nach seinen Verwandten liefe. Dass er sie suchte, verdankte er seiner Großmutter, die zeitlebens nicht mit ihrem Schicksal hatte abschließen können. Zerfasert von Arbeit, die sie in einem Kibbuz verrichtet hatte, hatte Sara auf dem Sterbebett gelegen, in den Himmel geblickt und auf Hebräisch, ihrer Fremdsprache gesagt: „Du musst für Gerechtigkeit sorgen, Joshua, für mich und für deine Nachkommen.“

Danach war ihr sichtlich der Atem ausgegangen. Joshua hatte ihr als einziger Enkel nie diesen Frieden schenken können, nach dem es Sara ihr Leben lang gedürstet und gehungert hatte. So wenig wie der Mann, den sie geheiratet hatte, wie nicht das Land, das als ‚Gelobtes Land‘ in die Geschichte eingegangen war. Gelobt worden war vor allem ein Gott, der nicht einzugreifen schien. Joshua fragte nicht einmal mehr danach. Er wollte nur noch wissen, wer die Menschen waren, die seine erbarmungswürdige Großmutter verraten und diese Entwurzelung an ihn weitergegeben hatten. In einem Regime, das zu Recht ‚Unrechtsregime‘ genannt worden war.

Wenn Joshua allerdings Nachrichten sah, fragte er sich, wie viele von diesen Unrechtsregimen es heute auf der Welt gab und ob das niemals enden würde. Er jedenfalls wollte für seine Großmutter ein Ende finden. Ein Ende in der Familie von Hutten, die so skrupellos gewesen war, ihre eigenen Angehörigen dem Tod zu überantworten. Noch in den Momenten hatte ihm seine innerlich bis zum letzten Atemzug strauchelnde Großmutter eingebläut, sie nicht zu verachten. Nicht für das, an was sie glaubten, nicht für das, wer sie waren, und nicht für das, was sie getan hatten. Er hatte es ihr versprechen müssen, aber wie das so war mit erzwungenen Versprechen, hatte Joshua in seinem Herzen sofort einen solchen Widerstand gefühlt und nach Vergeltung geschrien, dass ihm schwindelig geworden war. Joshua war nicht nach Deutschland gekommen, um nach einer wie auch immer gearteten Gerechtigkeit zu schreien, sondern um Rache zu üben. Er würde diese Familie fertigmachen. So, wie seine Vorfahren nach Strich und Faden fertiggemacht worden waren. Ähnlich dem, wie sie die Palästinenser fertigmachten, die ihr Land beanspruchten. Heiliges Land, von seinem Gott auf ewig versprochen. Jerusalem war Gottes auserwählte Stadt, nicht Mekka, nicht Berlin oder sonst irgendeine Stadt – weder nahe dem Bosporus noch nahe dem Nil.

Auszüge aus ALLEN Geschichten

Kapitel I des Romans Sommerröte von Isabelle Dreher

Als die Flut kam

Joa hatte es ihr beigebracht: nicht zu verurteilen. Niemanden. Auch sich selbst nicht. Er führte sie an Orte, die sie ohne ihn nie gefunden hätte. Orte in ihrem Inneren, zu denen die Türen Zeit ihres Lebens verschlossen gewesen waren.

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Kapitel Streifen der Zerrissenheit Roman Sommerröte von Isabelle Dreher

Streifen der Zerrissenheit

Ohne es zu wollen, blickte Ceija auf die Wundmale des Mannes, der am Kreuz hing. Er war aus Holz und sah nicht gut aus. Eigentlich hatte sie sich nur eine kleine Auszeit von dem Geräuschpegel im Zelt, nehmen wollen den

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Kapitel In der Finsternis Roman Sommerröte von Isabelle Dreher

In der Finsternis

Lissy kniete auf dem Boden und dachte an ihren Pokal. Sie sehnte sich nach einem menschlichen Geräusch, nach einer menschlichen Stimme, die Gutes zu ihr sprach. Doch da war nichts als das kalte Echo der Mauern, das nackte Grauen vollkommener

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Kapitel Liebe und Gleichgültigkeit

Liebe und Gleichgültigkeit

Samstagabend hatte Helena alle zu einem Festessen geladen, von dem sie sich auch versprach, dass Max auf die ein oder andere Weise mit dem Wachstum ihrer Familie fortan klarkommen, wenn nicht gar Frieden schließen würde.

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Kapitel Im Zeichen der Selbstverherrlichung Roman von Isabelle Dreher

Im Zeichen der Selbstverherrlichung

„Sehen Sie“, begann Frau Kalkstein.
Helena, die wirklich gut zuhören wollte, blickte auf den Mund der Frau und war einige Zeit damit beschäftigt, zu überlegen, woran sie dieses ‚Sehen Sie‘ erinnerte.

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Kapitel Ungezählte Destinationen Roman Winterfachen von Isabelle Dreher

Ungezählte Destinationen

„Einer hat mehrere Menschen mit Migrationshintergrund umgebracht und dann sich selbst“, informierte Nourina ihr Gegenüber, das neben ihr saß und konzentriert die Wirtschaftsmeldungen der vergangenen Stunden durchging.

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Kapitel Mit Leben getauft Roman Winterfachen von Isabelle Dreher

Mit Leben getauft

Als sie erwachte, musste Nourina so fürchterlich husten, dass ihr war, als bekomme sie keine Luft mehr. Nachdem sie sich aufgerichtet hatte und wieder atmen konnte, blickte sie sich in ihrem Schlafzimmer um und dachte darüber nach, was sie alles

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Kapitel Glaube ist eine Waffe Roman Winterfachen von Isabelle Dreher

Glaube ist eine Waffe

„Wie war denn dein Tag?“, fragte Ilay seine Frau, nachdem er alles gegeben hatte und sie in seinen Arm zog, nicht anders als es der Christus getan hätte.
„Schön“, flüsterte sie, noch immer benommen von den Momenten in Jerusalem,

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Kapitel In einem anderen Reich GoldenTor

Ich bin anders

Reglos stand das Mädchen vor der Müllkippe. Mit geschlossenen Augen nahm es den Geruch von Abfall, Verwesung und Eisen wahr. Wie ein Brechmittel kam ihr das vor.

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Kapitel Das Buch deines Lebens GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Das Buch deines Lebens

„Ist das Eden?“, fragte Toni, als sie mit ihm durch das herrliche Tor schritt.
„Weißt du denn wo Eden liegt?“, fragte Jeschua lächelnd, der sie sicheren Schrittes nach drüben geleitete.

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GoldenTor-Geschichte Bei uns gelten andere Gesetze

Bei uns gelten andere Gesetze

„Du wirst leben und du wirst Leben im Überfluss haben“, hörte Toni Jeschua sagen, der noch immer hinter ihr stand und seine Hände wieder auf ihre Schultern gelegt hatte. Toni fühlte, wie Kraft von Jeschua ausging und etwas von ihm

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Kapitel Steigt herauf GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Steigt herauf

Ephania Lopez war ganz Gastgeberin und begrüßte allesamt herzlich. Es waren etwa dreißig Kinder gekommen, über die die Direktorin vorher schon mit den Dreien gesprochen hatte.

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Kapitel Wie eine Wand GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Wie eine Wand

Nachdem Toni eine Zeitlang im Ferieninternat gewesen war, wo sie vieles gelernt und auch Gott Vater, seinen Sohn Jeschua und den Heiligen Geist Ruach besser kennengelernt hatte, kehrte sie zurück ins Schloss, wo sie neben ihrer Freundin Alisha lebte.

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Kapitel Wieder vereint GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Wieder vereint

Alisha und Ramon blickten sich erstaunt an und folgten dann Jeschua und Ruach. Toni blieb etwas ratlos zurück. Nach allem traute sie sich kaum zu fragen: Und was ist mit mir? Ihr Herz machte solch einen Lärm, den Gott Vater

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Kapitel Macht euch bereit

Macht euch bereit

Als Toni am nächsten Morgen in ihrem Zimmer im Schloss aufwachte fühlte sie, dass etwas tief in ihr wieder ganz war. Sie freute sich auf das Frühstück, auch wenn sie ihre Freunde aus dem Ferieninternat vermisste. Dafür war Alisha da.

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GoldenTor-Geschichte In einer Zeit wie diese

Die goldene Stadt

Nachdem Toni die Zeit ganz verloren hatte, nahm sie lichtdurchflutete Engel zu beiden Seiten des Weges und an den Seiten zum Eingangstor wahr. Darüber war eine goldene Tafel angebracht und auf der stand ‚Jeru Schalim‘, was so viel hieß wie

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Kapitel An einem verborgenen Ort GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

An einem verborgenen Ort

Nach einem ereignisreichen Abend wachte Toni gut gelaunt in ihrem Zimmer im Schloss auf. Mit Jeschua, ihren FreundInnen aus dem Internat und Alisha, ihrer Zimmernachbarin, wollte sie eine Band gründen.

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Kapitel Siehe ich mache Neues GoldenTor-Geschichte von Isabelle Dreher

Siehe, ich mache Neues

Wie geduscht wachte Toni am kommenden Morgen auf und fand sich dem gegenüber, der sie wie eine Pflanze bewässerte.
„Wunder“, strahlte sie Jeschua an, „du tust Wunder über Wunder.“
„Nun bist du kein Waisenkind mehr“, strahlte der Strahlende

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