Kapitel Mit Leben getauft Roman Winterfachen von Isabelle Dreher

Mit Leben getauft – Winterfachen

Als sie erwachte, musste Nourina so fürchterlich husten, dass ihr war, als bekomme sie keine Luft mehr. Nachdem sie sich aufgerichtet hatte und wieder atmen konnte, blickte sie sich in ihrem Schlafzimmer um und dachte darüber nach, was sie alles in der letzten Zeit erlebt hatte. Vielleicht waren es aber auch nur Halluzinationen gewesen. Sie überlegte, ob sie sich am Abend zuvor vielleicht betrunken oder, schlimmer noch, mit Clemens wieder eine Linie gezogen hatte. Draußen war es noch dunkel. Also zückte sie als erstes ihr Handy, um sich  zu orientieren. Sechs Uhr Zehn, entnahm sie ihrem Smartphone. Und weitere Eilmeldungen, wie viele Menschen wo inzwischen infiziert waren und was die Regierungen jeweils beschlossen hatten. Schließlich war Nourina von den Nachrichten so schwindelig, dass sie sich in der Küche erst einmal einen sehr starken Kaffee brühte. Irgendwie bekam sie aber auch danach die Geschehen nicht mehr so richtig, also linear auf die Reihe, warum sie am liebsten wieder Dominik angerufen hätte. Immer wieder schoss in ihre Gedanken, sich taufen zu lassen, was etwas schwer sein würde, da keine Gottesdienste gefeiert wurden und sie eigentlich auch zu denen gehören wollte, die andere nicht gefährdeten oder das Gesundheitssystem überlasteten. Also lud sie sich die Bibel inklusive Erklärungen herunter und belas sich auch im Netz darüber. Wie eine Taube wurde der Geist Gottes dargestellt, wenn er auf die Menschen herabkam. Erst einmal bei dem Christus und sodann auf alle, die die sich auf seinen Namen taufen ließen. In der Bibel las sie, dass einige Christen, also die, die Jesus glaubten und sich versammelten, nachdem er gestorben war, sich privat irgendwo getroffen und gebetet hatten, als der Geist Gottes auf sie kam, was Pfingsten war, 49 Tage nach dem Tod von Jesus. Da begannen sie in sämtlichen Sprachen zu reden, was auf andere wirkte, als seien sie betrunken. Das konnte Nourina gut nachvollziehen. So ging es ihr auch manchmal. Trotzdem konnte sie oft nicht unterscheiden, wie ihr Zustand wirklich war. Oder wem sie zuhörte. Geschweige denn, glaubte oder Glauben schenken wollte. Clemens, dem ewigen Verführer oder Dominik, der gerne von diesem Christus erzählte. Oder vielleicht dem jungen Mann, von dem sie geträumt hatte? Aber den Schwarzen Engel hatte sie ebenfalls schon vor sich stehen sehen. Vielleicht sollte sie doch mal einen Arzt aufsuchen, aber auch das war derzeit eher schwierig. Wenn die sie dabehalten würden, würde sie sich vermutlich umgehend mit Corona infizieren. Einem Bier, war Nourina schließlich so verwirrt, dass sie entschied, den nächsten Espresso runter zukippen. Viel mehr konnte sie im Augenblick ohnehin nicht tun. Soziale Kontakte waren so gut wie untersagt. Und wenn sie diesen Jesus nochmal rief, von dem sie geträumt hatte? Würde er ihr etwas erklären können? Oder halluzinierte sie einfach inzwischen fröhlich, also wie nach der Scheidung und nach Clemens? Aber was machte der eigentlich, fügte sie die nächste Frage an die vorhergegangen. Gedankenkarussell, befand Nourina schließlich und erwog einen weiteren Espresso.

Die Bibel zu lesen war auch nicht die beste Idee, fand Nourina, da sie eigentlich so gut wie nichts verstand, was darin beschrieben wurde. Und sich zuzudröhnen würde vermutlich auch wieder nur das Dunkle hervortreten lassen, auf was sie angesichts der düsteren Zeiten draußen keine Lust hatte. Aber Einkaufen ging, erinnerte sich Nourina und hoffte, dies möge noch nicht der Tag des Herrn sein. Der wollte ja, dass sie da ruhen. Von was auch immer. Mit Blick auf den Kalender atmete sie auf. Freitag. Wieder frei, gluckste sie in sich hinein. Fast alle Deutschen hatten im Moment frei. Bis auf die natürlich, die das Leben draußen noch irgendwie am Laufen hielten und anderen Menschen halfen, denen es wohl noch schlechter gehen musste als ihr gemeinhin. Was für eine Zeit, dachte Nourina, stand auf, packte ihre Einkaufsutensilien zusammen, band sich einen Pferdeschwanz und betrat die Straße.

Kaum jemand war draußen zu sehen. Dafür glitzerten die Sonne und der Asphalt vor ihr ein wenig so, wie sie von diesen unglaublichen Wellen geträumt hatte, die wohl ebenfalls einer anderen Zeit angehörten. Diese zumindest war zwar auch eine unglaubliche Zeit, aber eine, die Opfer von allen verlangte. Warum eigentlich immer wieder Opfer, überlegte Nourina, als sie vor dem Einkaufsladen von einem Sicherheitsmann abgefangen wurde. Der ließ sie nicht so ohne weiteres eintreten wie jüngst die Türsteher des babylonischen Feier-Tempels. Dieser hier war aber sicher auch nicht der Türhüter des Herrn, der ihr Nahrung verwehren wollte, dachte Nourina. Oder der, wie sie an der Kasse schließlich schmerzlich feststellen musste, nachdem der junge Mann mit Migrationshintergrund sie heran gewunken hatte, die Klopapierrollen rationierte.

„Nur eine Packung pro Tag“, mahnte die junge Kassiererin, von der Nourina überlegte, ob sie auch einen Migrationshintergrund hatte.

„Ach so“, stammelte Nourina.

„Und wenn ich die nehme?“, vernahm sie eine Stimme hinter sich.

„Gern“, lächelte sie reflexartig.

Weniger erfreut darüber war die Kassiererin, deutlich ohne Migrationshintergrund, dafür aber angehalten, die Hamsterer zurechtzuweisen. Das war Nourina in deren Augen jetzt wohl auch.

„Er übernimmt sie, okay?“, sprach Nourina durch die Plexiglasscheibe, woraufhin die Frau an der Kasse die Augen verdrehte und schließlich beide durchwinkte.

Vor der Tür des Einkaufs-Tempels, in dem es immer noch genug für alle gab, streckte Nourina dem fremden Mann ihre Hand hin, und, als dieser danach greifen wollte, flugs auch wieder weg.

„Wir sollen ja nicht“, gab sie zu bedenken.

„Ja, natürlich, also natürlich nicht“, lachte der Mann, der mit einem ähnlichen Jackett bekleidet war, das Dominik so gerne trug.

„Also eigentlich hamstere ich ja nicht“, musste Nourina ebenfalls lachen.

„Ja, natürlich“, lächelte der Fremde und musterte sie, wie er wohl fand, unauffällig von oben bis unten.

„Wie kann ich mich denn revanchieren?“, fragte Nourina, „das war ja schon sehr nett von ihnen.“

„Tja“, schnalzte dieser mit der Zunge, „ich bin ja jetzt quasi ihr Komplize.“

„Ja“, nickte Nourina, die merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.

„Vielleicht laden Sie mich mal ein, wenn der ganze Wahnsinn hier vorüber ist“, schmunzelte er.

„Das kann dauern“, entfuhr es Nourina, worüber sie sich schon im nächsten Augenblick ärgerte.

„Ach was“, winkte sie kurz entschlossen ab, „drinnen beim Backshop gibt’s Kaffee und was immer sie möchten, möchten Sie?“, fragte sie und merkte, dass sie ein wenig aufgeregt war.

„Okay“, grinste der Mann mit dem grauen Haaransatz, schaute auf den Wachmann, der „Stopp“ machte, was Nourina Zeit gab, sich zu sortieren.

„Was möchten Sie?“, fragte Nourina, nachdem sie hatten passieren dürfen und vor der durchsichtigen Theke standen.

„Ein Mandelhörnchen und einen Cappuccino bitte“, lächelte der Fremde.

„Okay“, murmelte Nourina zu sich selbst, bestellte für sich mit und wartete, bis sie das Erbetene über die Theke gereicht bekam.

„Wir können uns auch draußen in die Sonne setzen, oder?“, schlug sie vor, woraufhin ihr Gast die Bestellungen vom Tresen nahm und Nourina nach draußen folgte.

„Schönes Wetter“, atmete sie aus und streckte ihr Gesicht in die Sonne.

„Und wie wir wissen, für Anfang April ein wenig zu warm“, lächelte er.

„Alles spielt wohl derzeit verrückt“, erwiderte sie sein Lächeln und nahm den ersten Schluck.

„Sie wohnen hier in der Nähe?“, fragte er.

„Da drüben“, nickte sie, „die Straße runter.“

„Ach, da hatte ich mal ein Atelier“, grinste er.

„Was machen Sie denn?“, fragte sie.

„Ich bin Künstler“, antwortete er.

Nourina musterte sein Outfit. Das sah nicht nach Billigklamotte aus. Sie hingegen hatte ihre bequeme Jogginghose nicht getauscht. Nicht, um Milch, Brot und Klopapier zu besorgen.

„Ich bin übrigens Nourina“, stellte sie sich vor.

„Ilay“, nickte er und musste sich lachend erneut den Impuls verkneifen, ihr seine Hand zu reichen.

„Woher kommt der Name?“, fragte Nourina, die sich ja schon immer gefreut hatte, fremde Menschen aus fremden Ländern kennenzulernen.

„Hebräisch“, antwortete er.

„Sind Sie Jude?“, fragte sie.

„Stört sie das?“, fragte er zurück.

„Natürlich nicht“, stieß sie aus. „Ich frage mich nur, na ja, warum Sie nicht an den Christus glauben, der war doch auch Jude.“

„Wer sagt denn, dass ich nicht an Jesus glaube?“, erkundigte er sich.

Nourina zuckte mit ihren Schultern und nahm verlegen den nächsten Schluck Kaffee.

„So genau kenne ich mich da eigentlich nicht aus“, murmelte sie und biss in ihr Quarkröllchen.

„Kennen Sie denn diesen Christus?“, fragte er.

„Ein Freund hat uns vorgestellt“, lächelte sie.

Er nickte.

„Und dann habe ich, glaube ich, von ihm geträumt“, fiel ihr plötzlich siedend heiß ein.

„Ach, so gut kennen Sie ihn“, musste Ilay lachen.

Wieder drohte Nourina in ihrer Scham zu versinken. Schön, wenn ihre Schweißausbrüche ausbleiben würden, doch schon spürte sie, wir ihr das Wasser von den Schläfen zu rinnen begann.

„Er ist mir begegnet“, entgegnete der Fremde und biss in sein Mandelhörnchen.

Nourina starrte ihn an.

„Sie haben jemanden umgebracht?“, warf sie aus.

„Mein Gott, nein“, wehrte er ab. „Ich war an der Klagemauer, damals habe ich noch alles gemacht, was gute Juden gemeinhin so tun“, lächelte er.

„Oh, Entschuldigung“, fuhr sich Nourina mit der Hand fahrig durchs Gesicht, was sie umgehend einzustellen versuchte, schließlich gab es vier Gebote derzeit, die man beachten sollte.

Niemandem die Hand reichen, in die Armbeuge husten, sich nicht ins Gesicht fahren und 1,5 Meter Abstand halten.

„Macht doch nichts“, blieb der Fremde freundlich, „woher sollten Sie das auch wissen?“

„Na ja, murmelte Nourina, die überlegte, warum ihr in diesem Moment nicht danach war, einfach aufzustehen und fortzurennen.

„Nein“, fuhr er unbeirrt fort, „als ich dort stand und sozusagen klagte“, lachte er plötzlich auf, „da erschien er“, lächelte er, „wie ein Geist.“

„Ach du meine Güte“, brachte Nourina gerade noch heraus und verschluckte sich am Blätterteig.

„Macht Ihnen das Angst?“, fragte er sanft.

„Nein, nein“, hustete Nourina ihn an, was sie sofort zu unterdrücken suchte.

Gebot Zwei derzeit lautete ja, in die Armbeuge zu husten, warum sie sich von ihm abwendete und ihren Anfall vorüberziehen ließ.

„Wie haben Sie ihn denn kennengelernt?“, fragte der Fremde und musterte sie, allerdings auf eine recht freundliche Art, wie Nourina fand.

Eine Art, die irgendwie nach Interesse aussah.

„Mein Freund, also er ist ein Freund“, zerstreuten sich ihre Worte, „also, ähm, wir sind, nun ja, er hat übrigens jemanden umgebracht, also jetzt nicht so, er hat“, stotterte Nourina, die nicht mehr wusste, was sie da machte oder sagte, „wir stellen uns immer vor Gottes Thron“, atmete sie schließlich aus.

„Vor Gottes Thron“, nickte Ilay, „ja, das kenne ich. Er ist Pfingstler?“, fragte er.

„Er ist was?“, fragte Nourina zurück und konnte ihren Mund kaum schließen.

„Pfingstler“, lächelte Ilay. „Das sind neugeborene Christen, die die Geistesgaben betonen.“

„Aha“, machte Nourina und merkte, dass sie sich ganz langsam wieder fing.

„Also Ihr Freund, also einer von Ihren Freunden, der tritt auch vor Gottes Thron?“, fragte er lächelnd.

„Rischtisch“, antwortete Nourina, so wie man das im Rheinland aussprach.

„Oh, Sie sind Rheinländerin?“, schloss der Mann ihr gegenüber.

„Bin ich“, nickte sie lächelnd. „Und Sie?“

„Ich komme aus Tel Aviv“, antwortete er.

„Oh mein Gott“, bekam sich Nourina schon wieder nicht ein, „da war ich neulich.“

Eigentlich hatte sie fortfahren wollen zu erzählen, doch in ihrem Zustand verzichtete sie lieber darauf, wer konnte schon wissen, wie Ilay ihre Geschichten mit Clemens und das mit dem Koks gefunden hätte.

„Waren Sie?“, fragte er und blickte sie erstaunt an.

„Super da“, stammelte sie und versuchte wieder zu einer normalen Atmung zurückzufinden.

„Ist es“, schmunzelte er.

„Und Berlin?“, fragte sie.

„Nun ja, es ist so, dass ich, also ich habe zwei Wohnsitze. Der erste, klar, ist in Tel Aviv. Und da ich nun mal Künstler bin – ist der zweite in Berlin“, strahlte er.

„Sehr schöne Stadt“, nickte sie.

„Sie sind ja auch nicht von hier“, lächelte er.

„Stimmt“, gab sie sein Lächeln zurück.

„Rheinland, also Bonn bei Köln“, präzisierte sie.

„Auch sehr schön“, nickte er anerkennend.

„Waren Sie da mal?“, fragte sie.

„Ja“, lächelte er, „ich war da mal in einer Galerie.“

„Vertreten?“, musste sie lachen. „Mein Onkel ist, also, er war Maler. Er ist gestorben.“

Ilay nickte.

„Er hat Gläser gemalt am Anfang, wissen Sie, einfach nur Gläser. Mit dem Motto: Jeder Tag Guter Tag.“

„Das ist Ihr Onkel?“, begannen seine Augen zu funkeln.

„Ja, kennen Sie ihn?“, stotterte Nourina.

„Ja, schon“, nickte er. „Er war ja auch Professor, sofern ich das noch richtig in Erinnerung habe.“

„Richtig“, antwortete sie. „Zum Schluss hat er aber nur noch Totenköpfe gemalt“, fügte sie hinzu.

„Oh“, pfiff Ilay aus.

„Na ja“, lächelte Nourina wieder, „was malen Sie denn so?“

„Skulpturen“, antwortete er.

„Oh“, nickte Nourina.

„Und ich schreibe“, fügte Ilay hinzu.

„Oh“, wiederholte sich Nourina, die sich kaum mehr traute, weitere Fragen zu stellen.

Irgendwie hatte sie das Gefühl, ständig danebenzuliegen.

„Und Sie?“, fragte er.

„Oh“, benutzte Nourina das Wort erneut, um Zeit zu gewinnen. „Nun ja“, überlegte sie, doch es wollte ihr einfach keine gute Antwort einfallen. „Ich war verheiratet“, antwortete sie schließlich.

„War?“, fragte er.

„Geschieden“, nickte sie. „Seit gut vier Monaten.“

Diesmal nickte auch er.

„Das tut mir leid zu hören“, antwortete er.

„Muss es nicht“, schüttelte Nourina ihren Kopf. „Wir waren nicht sehr glücklich, also zum Schluss nicht mehr so. Er hat eine andere. Ich konnte keine Kinder bekommen.“

„Das tut mir leid“, flüsterte er und betrachtete ihr Gesicht.

„Sie?“, fragte sie zögerlich.

„Nie“, lachte er.

„Warum?“, fragte sie. „Wenn ich fragen darf“, fügte sie schüchtern hinzu.

„Tja, irgendwie ist es dazu nie gekommen“, antwortete er und blickte aus Verlegenheit auf die Vorübergehenden.

„Das tut mir leid“, antwortete sie. „Also, es ist schwer, natürlich, aber zu heiraten ist schon irgendwie sehr schön“, flüsterte sie.

Er nickte und sah sie wieder an. In diesem Moment verfingen sich ihre Blicke und schienen wie ineinander verhakt zu werden.

„Na ja“, lächelte Nourina, die jetzt doch gerne aufgesprungen und fortgelaufen wäre.

„Wir waren beim Thron stehengeblieben“, nahm Ilay das Gespräch rasch wieder auf.

Ganz offensichtlich hatte er Interesse an ihr. Was Nourina nicht entging. Also entschied sie in Sekundenschnelle, zu bleiben.

„Ach ja, Thron”, ging sie auf seinen Vorschlag ein. „Machen Sie das auch?”, traute sie sich  doch wieder, Fragen zu stellen.

Wie blöd auch immer sie ihm vorkommen würde. Blöder als mit jemandem sinnlos eine Linie Koks zu ziehen, um anschließend … konnte das hier auch nicht sein, befand sie.

„Nun ja”, lächelte er, „schon. Ist irgendwie biblisch. Normalerweise sitzt ja Gott auf dem Thron”, antwortete er.

„Nicht immer”, lächelte Nourina, „bei den Buddhisten steht eine Riesenstatue eines Buddhas vorne, und da werfen sie sich dann vor.”

„Kenne ich”, schmunzelte er.

„Haben Sie das auch schon gemacht?”, fragte Nourina.

„Was?”, gab er zurück.

„Sich unterworfen sozusagen”, antwortete sie.

„Also, vor Gott schon”, nickte er. „Damit haben wir Juden es ja nicht so schwer”, grinste er.

„Ach so, ja”, erinnerte sich Nourina an Bilder von Orthodoxen, die auf den Knien saßen und ihren Oberkörper vor und wieder zurückschwangen.

„Aber ich bin nicht orthodox sozusagen”, entgegnete, „also, ich bin zwar von einer jüdischen Frau geboren, warum wir dann auch Juden sind, aber ich habe mich taufen lassen.”

„Oh”, sprang es aus Nourina heraus, „Sie sind getauft und damit wiedergeboren?”

„So kann man das auch sagen”, atmete er aus.

„Ich möchte mich auch taufen lassen”, gab sie bekannt.

„Ach ja?”, machte er und musterte sie erneut.

„Ja, aber das Dumme ist ja, dass im Moment keine Gottesdienste steigen, sondern wohl eher Corona-Partys. Aber doch, ich würde gerne”, beruhigte sie sich langsam wieder und blickte ihm erstmals offen in seine smaragdgrünen Augen.

„Tja”, machte er und überlegte, während sie die Vorübergehenden an ihren Augen vorbeiziehen ließ, „also, eigentlich können wir das auch machen, wenn Sie wollen.”

„Was?”, gab sie zurück, nicht mehr ganz bei der Sache.

„Taufen ist ja schon sehr wichtig”, fuhr er fort, „gerade in dieser Zeit. Denn wir Christen, also wir wiedergeborenen, die wir die Bibel schon ernst nehmen, also Gott und sein Wort, glauben daran, dass nur die im Buch des Lebens verzeichnet sind und nach ihrem Tod zu Gott kommen, die getauft sind. Wenn wir also unsere alte Kreatur gegen die neue in Christus eingetauscht haben. Wofür die Taufe steht, also kurz unter Wasser sinnbildlich alles abzuwaschen, was bis dahin war. So jedenfalls machen wir das”, verlangsamte er schließlich das Tempo seiner Worte.

„Will ich”, nickte Nourina und war wieder ganz Ohr. „Können Sie das auch machen?”

„Also, da alle Christen seine Autorität erhalten haben, können wir alle zwischen Gott und Menschen vermitteln”, nickte er.

„Das meinte Dominik auch”, stieß Nourina erfreut aus.

„Nun, ich habe zufällig, also jetzt nicht ganz so zufällig, aber ich habe hier in Deutschland ein Studium absolviert, also ich wollte fast mal Pfarrer werden, aber das war dann als Israeli, also ich hab’s gelassen und mich doch wieder der Kunst zugewandt, aber ich könnte schon, also wenn Sie wirklich wollten und das jetzt nicht als komisches Angebot betrachten würden …”,

„… mich untertauchen”, lachte Nourina frei heraus.

„So in etwa”, musste er ebenfalls lachen.

„Dann gerne”, lächelte sie und wollte schon aufstehen.

„Okay, Moment, how”, brach es aus ihm heraus, „Corona-Zeit”, gab er zu Bedenken.

„Es gibt wohl keinen besseren Moment als jetzt”, stieß sie aus. „Mein Freund, also der eine Freund in Italien hat mir erzählt, dass nicht mal Angehörige ins Krankenhaus dürfen. Die können sich nicht mal verabschieden, geschweige denn Abendmahl nehmen oder sich von sonst wem segnen lassen.”

„Okay”, lächelte Ilay, mehr dem Sonnenschein entgegen, der nach einer kleinen Wolke auf seinem Gesicht haften blieb, „dann, verstehe ich Sie recht, begleite ich Sie jetzt nach Hause oder wie hatten Sie sich das vorgestellt?”

Für einen kurzen Augenblick sank Nourina in dem Plastiksessel ein.

„Also, vorgestellt habe ich mir eigentlich gar nix“, antwortete sie zögerlich. „Aber wenn Sie mich so fragen, mein Vorschlag: Wir gehen jetzt in meine Wohnung, na gut, wir werden vermutlich nicht den vorgeschriebenen Abstand von 1,5 Metern einhalten, aber das haben wir ja schon an der Kasse nicht getan. Ich ziehe einen Badeanzug und irgendwas Weißes an, das macht man doch so, oder? Und dann taufen Sie mich auf den Namen Jesus Christus. Das Übergabegebet habe ich hinter mir, Gott, war das eine Nummer. Danach hab’ ich erstmal richtig schlecht geträumt und dann vom Erlöser selbst vermutlich”, sank sie angesichts ihrer gedanklichen Reise in Nullkommanichts erneut in sich zusammen.

„Gut”, nickte Ilay und stand als erster auf.

„Okay”, murmelte sie sich selbst Mut zu.

Und das vollkommen ohne Drogen, musste Nourina auf dem Weg zu ihrer Wohnung lächeln. Wer hätte das gedacht? Aber mit einem lebendigen Christus hätte sie auch nicht unbedingt gerechnet. Zumal sie in der Schule und dann in ihrem Leben gründlich versagt hatte. Nur nicht beim Rudern. Das mit dem Wasser lag ihr einfach, musste sie schmunzeln, nachdem sie die Badewanne hatte volllaufen lassen. Mal was anderes, dachte Nourina, nicht sich selbst volllaufen zu lassen, sondern etwas, von dem sie noch nicht wusste, dass Gott sie hernach als sein Gefäß bezeichnen würde.

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